Kurzkritik:Verliebt in die Details

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Dirigent mit atemberaubendem Handwerk: Der Kanadier Yannick Nézet-Séguin leitet von 2020 an die New Yorker Metropolitan Opera als Musikchef. (Foto: Marco Borggreve)

Yannick Nézet-Séguin bei den BR-Symphonikern

Von Michael Stallknecht, München

Zurückhaltend zeigt sich Yannick Nézet-Séguin am Ende auf dem Podium des Herkulessaals, präsentiert immer wieder die Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Dabei hatte der kanadische Dirigent soeben Anton Bruckners siebte Symphonie in einer Weise dirigiert, die selbst für das Bruckner-erfahrene München denkwürdig ist.

Vorausgegangen waren vier Arien der Frühromantik, die Kavatine der Euryanthe aus Carl Maria von Webers gleichnamiger Oper und die Romanze des Ännchen aus dem "Freischütz", Unbekanntes aus Franz Schuberts Opern "Die Verschworenen" und "Die Bürgschaft". Es sind kurze Formen irgendwo zwischen Lied und Arie, denen die Sopranistin Anna Prohaska mit vielen Schwelltönen und hochdifferenzierender Textdeutung ein leicht manieristisches Moment verleiht. Nézet-Séguin, der von 2020 an die New Yorker Metropolitan Opera als Musikchef leiten wird, unterstreicht die Nuancen der Sängerin mit einer sanft pastellfarbenen Orchestergrundierung. Und exakt aus derselben Klangwelt heraus entwickelt er überraschend auch Bruckners Siebte, lässt die Streicher sanft zittern und gibt den Bläsern Raum für lange Kantilenen.

Nézet-Séguin zeigt, dass romantische Emphase und ein differenziertes Klangbild entgegen allen Klischees zusammengehen. Es ist ein Bruckner voller endloser Bögen, mysteriöser Klangmischungen und ekstatischer Durchbrüche, aber geleitet mit einem atemberaubenden Handwerk, rhythmisch punktiert in den einzelnen Phrasen, genau durchdacht im Einsatz der Orchesterfarben. Nézet-Séguin geht, detailverliebt das riesige Stück fast zärtlich an, lässt die Steigerungen immer wieder wie aus dem Nichts kommen. Die bei Bruckner allzeit schwierigen Übergänge löst er mit einer flexiblen Tempogestaltung, die kaum ein Dirigent sich zutrauen dürfte. Schon weil nur wenige Orchester so zu folgen vermöchten wie die auf der Stuhlkante spielenden BR-Symphoniker. Und das Stück zerfällt darüber nicht, sondern wächst über alle vier Sätze hinweg zu einer mirakulösen Einheit zusammen, die den Hörer wie in eine wiedergewonnene innere Weite entlässt.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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