Kurzkritik:Verinnerlicht

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Christoph Filler geht auf "Winterreise"

Von Klaus Kalchschmid, München

Franz Schuberts "Winterreise" live zu singen, ist ein Wagnis: Beinahe jeder Zuhörer kennt die 24 Lieder, viele haben mehr als eine legendäre Interpretation im Ohr. Doch der lyrische Bariton Christoph Filler kann sich der Konkurrenz stellen. Er hat das Schicksal des enttäuschten Liebenden, der sich immer mehr in einen depressiven Wahn hineinsingt, verinnerlicht. Filler weiß, wann er ins extrovertiert wütende Fortissimo oder ins klangvolle Piano gehen muss, und wann er in einer zurückhaltenden, stets überzeugenden mezza voce befangen bleibt. Leise und fahl singend, scheint sich der einsame Winterreisende da selbst zu beobachten: Ungläubig staunt er, wie weit ihn das Wandern schon getrieben hat, wie sehr er buchstäblich und im übertragenen Sinne vor sich selber davongelaufen ist.

Aber warum nur bringt vergebliches Lieben einen gestandenen Mann wider besseres Wissen ("Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht", singt er zu Beginn) derart an den Rand der Existenz, dass er mehrfach, so bereits in Nr. 5 ("Der "Lindenbaum"), den Tod herbeisehnt? Immer auf der Suche nach ein wenig Hoffnungsgrün unter dem Schnee und Eis, drängt er sich am Ende einem wirklich armen, barfuß auf dem Eise hungernd Wankenden auf. Wer weiß, vielleicht füllen ja seine sentimentalen Lieder den "leeren Teller" des Leiermanns endlich wieder.

Filler ist Ensemblemitglied des Gärtnerplatztheaters, dessen Orchesterprobensaal bestens geeignet ist für intime Konzerte wie diese "Winterreise". Er artikuliert bewundernswert textverständlich und bleibt doch dem Schubertschen Melos und der Natürlichkeit der Phrasierung nichts schuldig. Das zwingt auch das Publikum zu Stille zwischen den Liedern, die Anke Schwabe meist überzeugend plastisch und beredt am Flügel mitgestaltet.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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