Kurzkritik:Verfremdete Liedkunst

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Das "Hidalgo"-Festival vereint Klassik und Techno

Von Klaus Kalchschmid, München

So hat man den Max-Joseph-Saal der Residenz mit seinem kühlen weißen klassizistischen Säulen- und Stuckdekor noch nicht erlebt: Die Lüster werden farbig wechselnd beleuchtet und illuminieren immer wieder anders den ganzen Raum. In der Mitte steht über Eck ein quadratisches Podium, drumherum die Sitzplätze, aber noch genügend Platz zum Stehen oder später zum Tanzen. Zwei hochformatige Video-Wände brechen das Gehörte mit modernen Assoziationen.

Wenn die Sopranistin Alexandra Flood und Tung-Hsing Tsai am Flügel den raffiniert schraffierten Liederzyklus "Les clartés de la nuit" von Jacques Hétu aus dem Jahr 1972 wunderbar intensiv ziselieren oder anschließend der nobel gestaltende, ausnehmend schön singende Münchner Bariton Matthias Winckhler sich, begleitet von Jan Philip Schulze, Robert Schumanns Eichendorff-Liederkreis op. 39 widmet, dann hören alle konzentriert zu, egal ob sie mit Weinglas an der Wand lehnen oder sitzen wie im Konzert. Aber anders als bei einem herkömmlichen Liederabend liegt das Durchschnittsalter nicht bei 60 plus, sondern weit unter 30, und das "Konzert" dauert gerade mal eine Stunde. Doch dann ist längst noch nicht Schluss.

Denn das fünftägige "Hidalgo"-Festival unter Leitung von Tom Wilmersdörffer bringt Klassik und Techno zusammen, alte Liedkunst Schumanns ("Frauenliebe- und Leben" und "Dichterliebe") mit Slam Poetry an einem ungewöhnlichen Ort wie dem Bahnwärter Thiel, macht das Barber House in der Fraunhoferstraße zum musikalischen Salon oder nimmt den Titel von Schuberts "Schwanengesang" wörtlich.

So dauert es am Eröffnungsabend nicht lange, bis aus der elektronischen Verfremdung des eben Gehörten veritable Tanzmusik wird und nach einer halben Stunde Gesprächen, Trinken und Wandeln die Ersten das Tanzen anfangen und aus einem feinen Lieder-Reigen eine ausgelassene Party wird.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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