Kurzkritik:Unter Strom

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Der Saxofonist Marius Neset und sein Quintett in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel, München

Es dauerte keine zwei Minuten, da war die Frisur beim Teufel. Dicke, verschwitzte Strähnen hingen Marius Neset überall im Gesicht. Dabei hatte der norwegische Saxofonist mit einem ruhigen Solo begonnen, mit auf- und abschwellenden Wohlklang-Kaskaden. Doch schon da stand der gesamte Körper des 31-Jährigen unter Strom. Neset wirkt immer leicht manisch, so sehr geht er in seiner Musik auf. Eine Sonderbegabung, die Tenor- und Sopransaxofon noch weicher spielen kann als ein Ben Webster oder Sidney Bechet, die noch schneller ist als ein James Carter, die - völlig einzigartig - Akkorde zu blasen oder das Instrument mit Luftsäule und Fingertapping auch mal nur rein perkussiv zu verwenden vermag und die nicht zuletzt all das in komplexe, trotzdem immer zugängliche Kompositionen gießt.

Nach Arbeiten für große Besetzung präsentierte sich Marius Neset in der Unterfahrt wieder im angestammten Quintett. Das freilich bei stürmischen Nummern wie "Pinball", dem Titeltrack dem bei Act erschienenen aktuellen Album, immer noch orchestral klingt. Oft spielen alle fünf völlig eigene Muster und Themen, die sich dann perfekt zusammenfügen.

Trotz seiner Fähigkeiten ist Neset kein Selbstdarsteller, er denkt im großen musikalischen Rahmen und in Bandkategorien, für die er das passende Personal gefunden hat: Jim Hart an Vibrafon und Perkussion ist ebenso ein Ereignis wie der federnd mitreißende, phänomenal präzise Schlagzeuger Anton Eger und der stets zweckdienlich und gegen die Erwartung begleitende Pianist Ivo Naeme.

Zu entdecken gab es zudem den Bassisten Michael Janisch, einen in London lebender Amerikaner, dessen eigene Projekte hier noch viel zu unbekannt sind. Der kurzfristig für Petter Eldh eingesprungene Janisch spielte erst seinen zweiten Auftritt mit Neset - und das bis auf ein Stück auswendig auch bei den vertracktesten Passagen. Er war damit der letzte Baustein eines grandiosen Konzerts, das einen in seinem musikalischen Reichtum fast überforderte.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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