Kurzkritik:Unromantisch

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Leif Ove Andsnes und Gustavo Gimeno bei den Philharmonikern

Von Michael Stallknecht, München

Einspringer zu sein, kann für Musiker das große Los bedeuten. Seit der spanische Dirigent Gustavo Gimeno vor zwei Jahren für den bereits erkrankten Lorin Maazel übernahm, scheinen ihn die Münchner Philharmoniker als regelmäßigen Gastdirigenten an sich binden zu wollen, aktuell für ein Programm mit Webers "Freischütz"-Ouvertüre, Schumanns Klavierkonzert und Mendelssohns "Schottischer Symphonie" in der Philharmonie. Doch entweder hatte Gimeno am Mittwoch einen schwachen Abend, oder dieses erzromantische Fach liegt ihm nicht.

Der ehemalige Solopauker des Concertgebouw-Orchesters nahm die Stücke jedenfalls mit einer umstandslosen und geradlinigen Straffheit, die sie sämtlich zu direkt, zu geheimnislos wirken ließ. Schon dem "Freischütz" fehlte es an atmenden Übergängen wie an dunkler Verschattung, und Mendelssohns Dritte lärmte über weite Strecken offensiv vor sich hin. Besonders die Schlüsse erinnerten in Gimenos knackig durchorganisierten Tempi eher an Märsche denn an jubelnde Ekstasen.

Dabei führte der Solist in Schumanns Klavierkonzert vor, dass sich das romantische Moment durchaus mit geradliniger Formgebung vereinbaren lässt. Der Norweger Leif Ove Andsnes ist für seine Klarheit bekannt, und tatsächlich blitzte der Klaviersatz bis in den letzten Winkel. Damit kitzelte er nicht den virtuosen Effekt heraus, sondern erreichte eine irrlichternde Leichtigkeit. Geht man den Mittelsatz so rasch an wie er, dann erscheint er tatsächlich als das im Titel angekündigte "Intermezzo". Doch gleichzeitig verfügt Andsnes über eine, wenngleich feinst minimalisierte Rubatokultur, die er auch bei der Zugabe, Chopins F-Dur-Nocturne op. 15/1, einsetzte. Aus ihr entsteht bei ihm das romantische Moment des Verschwebens, Sich-hinweg-Sehnens ohne alle Sentimentalität oder Nachdrücklichkeit. Doch leider mochte Gustavo Gimeno davon nichts übernehmen, eilte ihm bei Schumann stattdessen mit den Philharmonikern immer wieder davon. Schade.

© SZ vom 22.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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