Kurzkritik:Unheimliche Welt

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Christian Thielemann dirigiert die Sächsische Staatskapelle

Von Rita Argauer, München

Spätestens wenn das Orchester das erste Mal richtig laut wird, hat Christian Thielemann in Bruchs erstem Violinkonzert alle im Publikum eingefangen. Thielemann ist mittlerweile fast erschreckend versiert darin, Musik suggestiv aufzuladen. Nicht zuletzt das machte seinen Bayreuther "Tristan" so überwältigend. Wenn er diese Suggestion am Ende in Überwältigung überführt - wer könnte sich dem schon entziehen?

Bei seiner jährlichen Wiederkehr nach München zu Beginn der neuen Konzertsaison zeigt er das in der Philharmonie auch in Bruckners Symphonie Nr. 1. Die reichert er versessen mit Details an, und legt einen übergreifenden Spannungsbogen darüber. Das Werk verliert so sämtliche verschrobene Biederkeit und rast über ein peitschend bedrohliches Scherzo auf Glanz und Gloria im Bläserchor im Finale zu. Um so etwas zu gestalten, braucht es ein Orchester, dessen Musiker dazu bereit sind, Thielemann ohne Kompromisse zu folgen. Die Sächsische Staatskapelle tut dies. Es ist beeindruckend, wie Dirigent und Musiker zu einem einzigen musikalischen Ausdruck verschmelzen, als seien diese vielen Menschen auf dem Podium ein Organismus mit einem einzigen Hirn. Das geht soweit, dass bei Bruch die Orchesterstimme bisweilen mehr ein Rauschen als eine Tonfolge ist - wenn die Töne dann langsam anschwellen und zurückkehren, löst sich der Unterdruck. Eine Wonne.

Solist Nikolaj Znaider verknüpft in der Soloviolinstimme darauf Dynamik und Phrasierung beeindruckend eng. Anstatt einer grellen Gestaltung durch verschiedene Färbungen und deren Kontrastierung, lässt er die Musik fließen; immer präsent, immer nahbar. Mehr und mehr wird Christian Thielemann jedoch auch zu einem Künstler, der in der Musik, die so stimmig, konsistent und entschieden einerseits klingt, gleichzeitig die Welt schwanken lässt. Die Musik wird zum dominanten Abbild menschlicher Unsicherheiten. Das ist ungemein beeindruckend und unheimlich zugleich.

© SZ vom 08.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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