Kurzkritik:Unfassbar großartig

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Bodo Wartke und Melanie Haupt geben "Antigone"

Von Thomas Becker, München

Im Theater gewesen. Geweint. Dicke, fette Lachtränen. Dabei wurde "Antigone" gegeben, dieses unfassbar desperate griechische Drama, ein finsteres Selbstmord-und-Totschlag-Festival, gegen das die Killerorgien von John Wick wie ein fröhlicher Kindergeburtstag wirken. Wie sagt der Erzähler im Stück: "In keinem Drama gibt's derart mieses Karma." Und dann sitzt man bei diesem bleischweren Stoff im Prinzregententheater und kommt aus dem Giggeln nicht mehr raus.

Dass Tragödie so lustig sein kann! Einzig und allein liegt das an den beiden Darstellern, die knapp zwei Dutzend Rollen spielen, mit wenig Requisiten und minimalem Bühnenbild, aber mit so viel Talent, Witz, Herz und Kreativität, dass es einem pausenlos Bewunderung abnötigt. Die Rede ist von Bodo Wartke und Melanie Haupt - in dieser uncharmanten Reihenfolge, weil die Idee zur komplett gereimten Neudichtung des Dramas von Wartke stammt. Der seit mehr als zwanzig Jahren gefeierte Klavierkabarettist hat vor zehn Jahren schon mal das Ein-Mann-Stück "Ödipus" auf die Bühne gewuppt. Mit "Antigone" ist nun sozusagen ein Sequel geglückt, das man nur als sehr, sehr großartig bezeichnen kann. Standing ovations am Schluss: vollkommen angemessen.

Nichts gegen Gustav Schwabs Wälzer "Die schönsten Sagen des klassischen Altertums", aber mit der "Antigone" à la Wartke würde man garantiert jede Schulklasse für die Antike begeistern. Moderne Sprache, pfiffiger Witz, ohne Ranschmeiße, ohne beim Wortspielern ins Peinliche zu rutschen und ohne dem Stück seine Tragik zu nehmen. Mal mischt Arrangeur Wartke ein Klavierparlando rein, mal einen Rap, mal Flamenco, mal Blues. Was das Schauspiel angeht, spielt Melanie Haupt, ein Gewächs der Folkwang-Hochschule, den gelernten Musiker Wartke an die Wand, hat die aufrechte Heldin Antigone genauso drauf wie den schusseligen Wärter, das nymphoman veranlagte Orakel von Delphi oder den prolligen Theseus. Sophokles hätte auch seinen Spaß gehabt.

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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