Kurzkritik:Überpotent

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Wim Vandekeybus' Erfolgsstück eröffnet die Tanzwerkstatt Europa

Von Rita Argauer, München

Männer sind interessant. Im Tanz schon allein deshalb, weil bei diesem traditionell die Frauen im Fokus stehen. Doch wo Aszure Bartons reines Männerstück "Adam Is" zuletzt einen etwas distanziert-akademischen Blick auf kraftstrotzende Männerkörper warf, zeigt die Eröffnung der Tanzwerkstatt Europa mit Wim Vandekeybus' "In Spite of Wishing and Wanting" ein Stück, das in seiner Dramaturgie ebenso überpotent ist, wie die Männer, von denen es erzählt.

1999 uraufgeführt, wurde der wilde Ritt durch Männerfantasien abseits derjenigen, die sich um Frauen drehen, ein Hit. Nun wurde es in neuer Besetzung inklusive Vandekeybus selbst wieder aufgenommen. Es geht in dem Stück um jene animalische Kraft, die in der Zivilisation keinen wirklichen Kanal mehr finden mag. So warten elf bis zum Bersten mit Energie gefüllte Körper darauf, diese endlich loszuwerden, galoppieren wie freigelassene Pferde über die Bühne, scharren mit den Hufen und schütteln ihre nicht vorhandenen Mähnen, dass es ein rechter Spaß ist. Doch es wäre zu einfach, sich durch ein paar Tiervergleiche auf der Schere Atavismus-Zivilisation auszuruhen. So wird auch viel gesprochen - assoziativ und morbid vom Begehren, vom Sehnen und von vermeintlicher Omnipotenz. Die Sprachpassagen, deren schauspielerische Gesten sich in Tanz wandeln, wechseln sich dabei mit wohl gesetzten Gruppenstücken ab, in denen die Kraft ins Artifizielle übersetzt wird. Herrlich funktioniert das zur bassig groovenden Musik, die David Byrne für dieses Stück geschrieben hat, und die all diesen wahnsinnigen Überdruck ebenfalls in sich trägt, weil sie nicht ausbricht, sondern die Potenz in ihrer Rhythmik speichert.

Schließlich hinterlassen die Männer ein erschöpftes, aber zufriedenes Publikum, das mit einer eindeutigen Geste erlöst wird: Nachdem sich in den vergangenen zwei Stunden immer alles um sie selbst, ihre Kraft, ihre Egos und der Verteidigung ihres Territoriums gedreht hat, gibt es die Hand aufs Herz und die schenkende Geste zum Publikum in der Muffathalle: Die Männer haben sich offenbart.

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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