Kurzkritik:Tiefer Keller

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Die Opernwerkstatt mit ihrem zweiten Projekt: "Catarsi"

Von Egbert Tholl, München

Am Ende ist die Opernwelt wieder halbwegs in Ordnung, Kristofer Lundin singt die Arie des Florestan. Aber sie hat ihre politische Dimension verloren, es geht nicht mehr darum, dass da einer in Ketten liegt, weil er kühn wagte, die Wahrheit zu sagen. Florestans Gefühle sind privat geworden. Singt Lundin mit mäandernder Inbrunst davon, dass Florestan seine Pflicht getan habe, dann meint diese Pflicht hier nur den Versuch, ein Leben außerhalb eines bizarren und kaum spürbar werdenden Systems geführt zu haben. Für ganz kurze Zeit, für einen Moment. Dann kehrt Florestan lieber wieder ins System zurück und die im Duett vorüberhuschende Liebe ist vorbei, das Video mit einem langen, begehrenden Kuss zwischen Leonore und Florestan gerinnt zu Pixeln.

"Catarsi", Teil zwei der Opernwerkstatt der Staatsoper, ist das Ergebnis einer längeren Forschung des Agora-Musiktheaterkollektivs, das sich schon seit geraumer Zeit in der Staatsoper eingenistet hat und dort bastelt. Basteln können Benedikt Brachtel (Musik, Arrangement, musikalische Leitung), Benjamin David (Regie) und die anderen hervorragend. Die Aufführung im Postpalast ist eine Variation von Beethovens "Fidelio", eine dank Elektronik Raumklang gewordene Idee, die man zwar nicht ansatzweise kapiert, wenn man nicht das Programmheft dazu liest, die aber einen kaum davon abhält, sich in ihr entspannt und nicht unwohl zu fühlen.

Pizarro (allein durch die Stimme Lucy Wirths vertreten) sammelt im fabelhaft schönen Keller des Postpalasts die Gefühle Florestans, der sich in seiner emotionalen Entmündigung sehr wohl fühlt, wie man oben dann merkt. In den Postpalast ist eine hübsche Gaze-Rotunde hineingehängt. Leonore, verkörpert von Laura Tatulescu, einer faszinierenden Sängerin, die sich garantiert keines ihrer Gefühle rauben lässt, dringt in den Tüll-Käfig ein, es folgt das Duett, Rocco, der grimmige Wärter (Alban Lenzen), trägt Florestans Emotionen ins Archiv, aus. Eine Fantasie, mit zarten Beethoven-Zitaten angereichert, verfliegend hübsch.

© SZ vom 30.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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