Kurzkritik:Syrischer Donnergott

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Omar Souleyman versetzt die Kammer 1 in Ekstase

Von Stefan Sommer, München

Im Applaus sind sie nicht zu unterscheiden, im Moment größter Leidenschaft. Teutonische Lederhosenträger genauso wie ausgelassenen-aufgeputscht tanzende Flüchtlinge aus Syrien, das zeigt das Konzert von Omar Souleyman. Der frenetisch gefeierte Auftritt des "King Of Syrian Techno" in der Kammer 1 ist ein großes Fest, ein ausgelassener Rausch zwischen Berghain und Basar. In den Kammerspielen zelebriert der ehemalige syrische Hochzeitssänger aus Raʾs al-ʿAin, der wie viele seiner Landsleute im Publikum seine Heimat im Krieg verlassen hat, am Freitagabend auf der Bühne eine wahnwitzige Mischung aus arabischem Dabke, Weltmusik und brachialem, wummerndem Techno.

Im Publikum spielen sich dabei unglaubliche Szenen ab: Tosende Jubelstürme branden nach jeder Ansage des Sängers auf, freudestrahlende Männertrauben klatschen und singen sich in einen stürmischen Reigen, entern für ein Selfie mit dem Volkshelden die Bühne und verlassen diese erst gar nicht wieder. Das Epizentrum der Ekstase verlagert sich von den Zuschauerrängen auf die Bühne und um den sichtlich geschmeichelten Omar Souleyman. Dessen Hits wie "Warni Warni", "Enssa El Aatab" oder "Bahdeni Nam" überzeugen dann gerade durch die rohe Aufführung mit Live-Keyboarder und elektrischem Live-Bozouki. Die repetitiven, polyrhythmischen Drumpatterns und sirenenhaften Melodien, die nach arabischem Imbiss oder nächtlichem Taxi-Fahren klingen, wirbeln und wüten und treiben voran.

Als der Sänger mit der großen, dunklen Sonnenbrille in einem stillen Moment auf Arabisch das Publikum direkt anspricht und unter gewaltigem Applaus traurig ausruft: "Wir wollen nicht viel, wir wollen nur zurückkehren in unser Land", ist die Wut, die Angst und das beklemmende Trauma dieses Krieges gegenwärtig. Sekunden später donnert die Bassdrum erneut los. Wie die Kammerspiele allen Ernstes auf die Konzertkarten Platznummern drucken konnten, ist wohl das Understatement des Jahres.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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