Kurzkritik:Starker Tanz

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Die amerikanische Sängerin Beth Ditto in der Muffathalle

Von DIRK WAGNER, München

Das Liebeslied als Kampfansage. Nicht gegen etwas, sondern für etwas. Solche Überlegungen schwingen mit, wenn Beth Ditto in der Muffathalle schon in ihrem ersten Song "Oh My God" von emotionalen Kontrollverlusten singt, während sie es im letzten Song des einstündigen Sets, in der Gossip-Hymne "Standing In The Way Of Control", leid ist, ihre Gefühle ständig unter Kontrolle haben zu müssen. In dem Fall, weil sie als Lesbe in einer Gesellschaft sozialisiert wurde, die gleichgeschlechtlichen Beziehungen immer noch mit Vorbehalten gegenübersteht.

Seit auch ihre Ehe mit einer Frau in den USA legalisiert ist, mag das zwar anders erscheinen. Aber reaktionäre Kräfte basteln längst schon wieder an weiteren Möglichkeiten von Diskriminierungen. So zum Beispiel die in Texas und Florida bereits verabschiedeten Gesetze, die es Unternehmen sowie privaten und von religiösen Institutionen getragenen Krankenhäusern erlauben, homosexuellen Menschen aus angeblich religiösen Gründen Dienstleistungen vorzuenthalten. Darum hätte man sich allein schon der Trump-Wahl und ihrer Folgen wegen von der US-amerikanischen Sängerin durchaus auch in München ein politischeres Album gewünscht als "Fake Sugar", mit dem Beth Ditto nun nach 17 Jahren als Frontfrau der Band Gossip gerade ihre Solo-Karriere startet.

Zumindest bis zu diesem Konzert, das auch Liebeslieder als Kampfansagen zelebriert. Mit einer Beth Ditto, die ihrer neuen Band auch rhythmisch vorsteht. Die also auch gesanglich ganz weit vorne ist, so dass ihre Gitarristin einige Mühe hat, der Chefin überhaupt noch zu folgen. Trotz ihres enormen Übergewichts tanzt Ditto dabei so ausgelassen über die Bühne, als könne sie mit ihrem Gesang jede Körperlichkeit negieren. Als sei sie also selbst nur noch ihr ausdrucksstarker, belebender Gesang, der in der Tat mehr artikuliert als notwendige Kampfansagen. Nämlich Hoffnungen und Zuversicht. Deshalb darf sie in der Zugabe auch fordern: "Steh auf, wenn du meine Liebe willst".

© SZ vom 29.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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