Es gibt nur wenige Momente, in denen Floskeln eine Berechtigung haben. Als der Pianist Shai Maestro gemeinsam mit seinen langjährigen Trio-Partnern, dem Bassisten Jorge Roeder und Ofri Nehemya am Schlagzeug, das neue Album "The Dream Thief" in der Unterfahrt vorstellt, ziehen sich Gegensätze aber durchaus an: Melancholie und Euphorie, Dramatik und Ausgeglichenheit, Detailverliebtheit und Schlichtheit.
Ohne Setlist spielen sie die Songs ihres ECM-Debüts. Weil sich die Musik einfach nicht vorhersagen lasse. Auch deshalb wirkt jedes Stück so spielerisch leicht, jeder Ton, als wäre er perfekt auf den nächsten abgestimmt, gleichzeitig aber im Moment entstanden. Manche Stücke wie "The Forgotten Village" kommen durch den Wechsel von Dissonanzen und Harmonien mysteriös traumhaft und melancholisch daher, andere wirken lässig und unaufgeregt, haben einen souligen Einschlag. Dann gibt es die Stücke, die aus einem Science-Ficiton-Film stammen könnten, beispielsweise als Maestro und Nehemya eine undefinierbare Melodie pfeifen, die aus einem unbekannten Universum zu kommen scheint. Den Standard "Polka Dots and Moonbeams" widmet Maestro seinem ehemaligen Musiklehrer. Virtuose Soli, die mühelos ineinander übergehen, und repetitive Melodien fügen sich ein in ein träumerisches Gesamtkonzept. Durch Maestro, dem es gelingt, sowohl antreibend, wie auch als Ruhepol zu agieren. So wird ein Lullaby-artiges Thema minutenlang wiederholt, bis das gesamte Publikum mitsingt und fast in eine Art Trance verfällt. Diese Energie, sagt Maestro, spüre er. Das englische Wort "mellow" beschreibt die Atmosphäre am besten: unaufgeregt.
Unter all den Gegensätzen ist wahrscheinlich der größte, dass Ruhe und Energie verschmelzen, sanfte Melodien auf gegenseitiges Anfeuern und Freudenschreie treffen. Dass sich alles natürlich ergibt, und die Melodien und Rhythmen komplex sind in ihrer Einfachheit. Einfachheit im spannendsten Sinne.