Kurzkritik:Spieglein, Spieglein

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"The XX" aus London funkeln düster im Zenith

Von Stefan Sommer, München

Es gibt nur wenig Gefährlicheres als einen Blick in den Spiegel. Denn wenn man aus der schwindelerregenden Verwirrung, ob man da nun tatsächlich vor sich steht, herausgefunden hat, treffen Selbstbild und Realität plötzlich und unumkehrbar aufeinander. Die britische Band The XX, die seit drei bestechend zarten wie klugen Alben Verletzlichkeit und Intimität wie keine andere Pop-Band zelebriert, hat auf der Bühne gleich acht wuchtige Spiegel wie für ein Ritual in einem Halbkreis um sich angeordnet. Bereits während der ersten Takte des hymnischen Eröffnungsstücks "Say Something Loving" ist so bis in die hinterste Reihe der seit Wochen ausverkauften Zenith-Halle jede kleine Geste, jede winzige Lippenbewegung der drei Londoner zu sehen. Ein monströser Spiegel, der wie ein gläserner Himmel schwer über ihnen hängt, zeigt die ganz in Schwarz gekleideten Musiker aus allen Winkeln und Perspektiven.

Romy Madley Croft, Oliver Sim und Jamie Smith, der als Jamie XX bekannt ist, sind mit ihrem Album "I See You" zuletzt zu Indie-Superstars aufgestiegen. Die murmelnd-flehenden Duette Crofts und Sims, die minimalistischen, kristallklaren Gitarrenfiguren und die organischen, treibenden Percussion-Frickeleien des vielleicht gefragtesten DJs und Sound-Architekten seiner Generation bilden schon seit ihrem Debüt-Album "xx" von 2009 einen hybriden Gegenentwurf zu Britpop-Machotum.

Außer mit alten Hits wie "Crystallized" und "Island" überzeugt die Band in München gerade mit den Stücken des neuen Albums. Herausragende Songs der neuen Platte sind die Single "On Hold" und das Sampel-lastige, stampfende "Dangerous", die auch im Zenith exzellent funktionieren. Die Hinwendung zu Elektro-artigen Song-Strukturen und der nivellierenden Wucht einer Techno-Kickdrum helfen dem zurückgenommenen, reduzierten Schlafzimmer-Sound der Londoner auch in große der Halle zu überzeugen, ohne ihre eigene Zerbrechlichkeit und Düsternis preiszugeben.

© SZ vom 27.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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