Kurzkritik:Souliger Furor

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Wallis Bird bringt die Milla zum Rasen

Von Martin Pfnür, München

Gerade mal zwei Stücke sind gespielt, als Wallis Bird erstmals auf den Wahnsinn um sie herum reagiert. "Und ihr seid wirklich sicher, dass ihr nicht aufs Justin-Bieber-Konzert wolltet?", erkundigt sie sich, was angesichts des entfesselten Gekreisches in der ausverkauften Milla gar nicht so abwegig wirkt. Doch herrje, so läuft das wohl, wenn Musiker, die sonst primär größere Bühnen bespielen, zu einer Club-Tour einladen, um ein Album anzubahnen. "Home" heißt das, und bevor sich die in Berlin lebende Irin daran macht, es in Bandformation und in Gänze vorzustellen, spielt sie solo je einen Song ihrer ersten vier Platten, die man laut Bird angesichts der Qualität von "Home" nun aber "alle wegschmeißen" könne.

Das ist natürlich großer Quatsch. Stücke wie "To My Bones" oder "Hardly Hardly", dessen elektronische Texturen die 34-Jährige an der Akustischen ins Analoge übersetzt, entfalten nicht zuletzt in der Reduktion eine Unmittelbarkeit, die einen regelrecht umblasen kann. Da ist vor allem dieser soulige Furor, dieses vor Energie nur so berstende Janis-Joplin-Temperament, mit dem Bird die Halle in Windeseile auf Betriebstemperatur bringt. Die Rechtshändergitarre spielt sie, aufgrund eines üblen Unfalls im Kindesalter, seitenverkehrt - und mit solcher Rasanz, dass der zweite Teil des Abends fast wie eine andere Veranstaltung wirkt.

Elegische Piano-Töne ("Change") kontrastieren da mit clever gelooptem Neo-Doo-Wop ("The Deep Reveal"), wuchtigem Schmacht-Pop ("Control"), süßem Schlafzimmer-Soul ("I Want It, I Need It") oder sogar einer A-capella-Hommage an Birds Freundin und Muse Tracey ("Home"), während sich die Songwriterin mal am Keyboard, mal an der Elektrischen, mal am Bass, mal an den Drums austobt. Zur Zugabe spielt sie dann auf Zuruf "In Dictum", und ihr Publikum dankt es ihr, indem es summend die Harmonien des Stücks aufgreift und am Ende gar zu einer Art Kanon verflicht. Wie herrlich, wie erhebend, wie groß!

© SZ vom 19.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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