Kurzkritik:Schwebend

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Michael Puruckers viertes "Interlude" im Einstein

Von Rita Argauer, München

Das Skizzenhafte ist in Zeiten, in denen Äußerungen von der Spontaneität der Posts in sozialen Netzwerken geprägt sind, nicht ungewöhnlich. Ein wenig hat sich der Münchner Tänzer und Choreograf Micha Purucker dieser Dramaturgie bemächtigt, um in einer Serie aus fünf "Serious Interludes" seit vergangenem Dezember kleine künstlerische Äußerungen auszugeben, die nicht den Anspruch eines abgeschlossenen Werks haben. Das vierte dieser Interludes, das vergangenes Wochenende im Einstein Kulturzentrum stattfand, verbindet dabei die Freiheit der schnellen Äußerung mit einem ernsthaften Anliegen.

Dieses ist in dem Fall literarisch. Der Abend, der unter dem Namen "Deserto Habitado" (bewohnte Wüste) steht, rückt den portugiesischen Dichter Al Berto in den Vordergrund. Dessen im Wortschatz füllige und aus ganzem Pathos schöpfende (Künstler-)Zustandsbeschreibungen werden auf Portugiesisch und in deutscher Übersetzung von Gabriele Graf, Mario Lopes und der Übersetzerin Luísa Hölzl vorgetragen. Die beiden Tänzer Michal Heriban und Gonçalo Cruzinha reagieren auf körperlicher Ebene darauf. Der Musiker Robert Merdzo lässt mal vom Band, mal an der E-Gitarre wabernde Klangflächen aufscheinen, während der deutsche Lyriker Christoph Klimke seine inhaltlich zum Teil nicht unähnlichen, aber formal viel strenger gesetzten Gedichte in kühler Metrik dazwischenfunken lässt.

Doch innerhalb dieser frei schwebenden Dramaturgie entstehen sinnliche Momente: Etwa, wenn die beiden Tänzer im körperlichen Ausdruck ab und an den Worten begegnen. Oder die Worte ihre Bedeutung verlieren und zum schwebenden Raumklang werden, bevor sich ihre an "Apocalypse Now" erinnernde Drastik den Bedeutungsfokus zurückholt. Dass das letzte Tanz-Solo zur großgestischen und gleichzeitig zerbrochenen Musik von Nine Inch Nails choreografiert ist, ist in diesem Kunstsparten-Staffellauf ebenso passend wie das unspektakuläre Ende: Ein letztes Gedicht, ein letzter Ton, dann endet der zuvor so organische Kreislauf aus Tanz, Ton und Wort. Die Assoziationen im Hirn aber gehen weiter.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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