Kurzkritik:Schubert lebt!

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Das Stehgreif.Orchester in Nürnberg

Von Egbert Tholl, Nürnberg

Ein Konzert bei der "Internationalen Orgelwoche Nürnberg" ohne Orgel - das muss man auch erst einmal hinkriegen. Schuld daran ist deren Leiter Folkert Uhde, der den Konzertbetrieb grundsätzlich anders begreift, als dieser normalerweise stattfindet. In Berlin hat er vor mehr als zehn Jahren das "Radialsystem" gegründet, in dem munter gegen die Verkrustungen des Betriebs angespielt wird. Dessen Geist etabliert er nun seit einigen Jahren in Nürnberg bei der Orgelwoche, und wenn man die Begeisterung des bunt gemischten Publikums in der Nürnberger Tafelhalle erlebt, muss man feststellen: offenbar mit verdientem Erfolg.

Es spielt das Stehgreif.Orchester, das Juri de Marco in Berlin gegründet hat. De Marco ist ein fabelhafter junger Mensch, der selbst Horn spielt und vor Enthusiasmus für die Musik strahlt. Und weil Musik für ihn etwas sehr Lebendiges ist, spielt das Stehgreif.Orchester in Nürnberg Franz Schuberts große C-Dur-Symphonie so, wie man sie noch nie erlebt hat.

Und das geht so: Im Dunkeln des Raums erklingt hinter der Tribüne ein Bläser-Choral. Das stimmt, so fängt die Symphonie an. Nur selten von hinten ertönend. Dann gibt es auf der offenen Bühne ein bisschen Licht, in das einzelne Musiker hineinwandern, da ein Fagott, dort ein paar Streicher. Schließlich haben sich alle Musiker auf der Spielfläche versammelt, barfuß und schwarz gekleidet, und die Symphonie hebt an in knapper Pracht. Denn gleich zerfällt sie, und aus den Resten des Tutti-Klangs entsteht der Bodensatz wunderschönster Volksmusik. Schuberts Wurzeln streben in die Luft.

Überhaupt, Luft: In der Regie von Theresa von Halle gehen die Musiker auf Wanderschaft in der Klanglandschaft, die Schuberts Symphonie umschließt. Mal geht es um einen Disput zwischen Tutti und Soli, mal um ein wildes Durchmiteinander, manche schweifen frei ab in Jazz, vielleicht auch Klezmer, einige folgen ihnen, die E-Gitarre meldet sich, das Schlagzeug rumpelt, und immer wieder finden die Musiker sich dunkeltönend vollblütig bei Schubert, in neuem Licht und herrlicher Schönheit. Manches ist verstiegen, alles ist großartig.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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