Kurzkritik:Rache ist süß

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"Lucia di Lammermoor" im Nationaltheater

Von Andreas Pernpeintner, München

Bei dieser Oper führt ein Zwischenfazit zur Pause gewaltig in die Irre. Gewiss, die ersten zwei Akte der "Lucia di Lammermoor" sind kurzweilig. Kurios, wie Donizetti und Librettist Salvadore Cammarano eine Handlung aus dem Schottland des 16. Jahrhunderts mit italienischen Vornamen garnieren und süffigem Belcanto übergießen - und wie Regisseurin Barbara Wysocka dies wiederum ins Amerika des 20. Jahrhunderts transportiert. Sie denkt dabei an die Kennedys. Doch allzu gerne würde man in dem morbiden Bühnenbild, dem Ami-Cabriolet und den Anzugträgern mit der qualmenden Kippe im Mundwinkel eine Godfather-Szenerie sehen - was eine gewitzte Verflechtung der von Cammarano zusammengezwungenen Sprachräume wäre. Auch die Rachsucht der Familienclans ergäbe eine zünftige Vendetta. Aber gut, die Handlung muss man auch bei dieser Oper nicht überbewerten; die Musik verdient mehr Aufmerksamkeit.

Natürlich ersäuft der Belcanto manchen Affekt im Wohlklang, sogar ein besungener "Augenblick des Todes" tänzelt freundlich vorbei. Doch wie Donizetti die Personen (etwa Ambrogio Maestri als Enrico, Nicolas Testé als Raimondo und Dean Power als Normanno) in stets neu gruppierte Duette schickt, ist feines Musikhandwerk. Der Opernchor und das Staatsorchester sind nach raschem Einfinden ins korrekte Lautstärkenverhältnis unter der Leitung von Oksana Lyniv bestens koordiniert. Und klangfarblich gibt es ein so hübsches Harfenständchen, wie man es in einer Oper nicht oft hören darf.

Doch mit der Wahnsinnsszene der Lucia im dritten Akt - daran reicht auch der anrührende Tod von Charles Castronovos Edgardo nicht heran - pulverisieren Donizetti und Diana Damrau alles Bisherige. Aus ist's mit den Duetten. Die Bühne ist voll mit Akteuren, doch alle kauern am Rande und erleben, wie Lucia-Damrau bei ihrer Arie mit der Knarre in der Hand den Raum bespielt, angsteinflößend, fragil, elend, stark und irr, singend, flüsternd (dazu eine sphärische Glasharmonika). In diesen Minuten ist sie alles: Mörderin, Verzweifelte, Sterbende, Liebende - und in dieser Inszenierung Marilyn Monroe obendrein. Purer Ausdruck. Kein Belcanto. Grandios.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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