Kurzkritik:Pure Lust

Lesezeit: 1 min

Joey Calderazzo in der Unterfahrt

Von Ralf Dombrowski, München

Joey Calderazzo muss üblicherweise begleiten. Das ist nicht so schlimm, denn als Pianist des Branford Marsalis Quartetts kommt der New Yorker ganz gut über die Runden. Nur das eigene Ding, das tritt ein wenig in den Hintergrund. Da Calderazzo aber für sein Leben gern Klavier spielt, lässt er zuweilen die großen Bühnen hinter sich und gönnt sich eine Club-Tournee. Das sind andere Bedingungen, und so braucht er in der Unterfahrt ein wenig, bis er die Entertainment-Gesten beiseite lässt.

"Genug mit Monkey Business", sagt er schließlich und findet mit seinen Partnern Eric Revis am Bass und Donald Edwards am Schlagzeug Stück für Stück in einen Flow, der ihn so weit wie möglich durch das Terrain der traditionellen Jazzmoderne treiben lässt. Denn einerseits ist Calderazzo kein Experimentalist. Er hat sein Handwerk in Berklee gelernt und bei Michael Brecker perfektioniert, bevor er in Brandfords Band landete. Auf der anderen Seite aber hat Calderazzo eine derart opulente Spieltechnik zur Verfügung, dass er Auflösungen und Umdeutungen innerhalb der Form passieren lassen kann, ohne damit die Musik an sich in Frage stellen zu müssen. Je später der Abend - bis hin zu den unverstärkt akustischen Improvisationen etwa über "Mike's Theme" in der Zugabe, ja bis hin zum Extra-Jam, als die meisten schon gegangen sind, ihn aber die Spiellust noch einmal packte - desto freier löste er das Korsett des Standard Playings, um sich nur vom Spaß am Instrument und von der Freude an der inspirierenden Stimmung leiten zu lassen. Revis und Edwards arbeiteten ihm über den Abend hinweg bestgelaunt zu, und so wurde klar, warum Marsalis auf Calderazzo nicht verzichten will. Denn mit derart überbordender Gestaltungslust an der Seite kann auf der Bühne kaum noch etwas schiefgehen.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: