Das Wasser steigt, Tiere und Menschen sterben. Sogar die Häuser fangen an zu schreien. Und wir? Machen munter weiter, dienen dem Götzen des Individualismus und hecheln Dingen wie Geld, neuen Schuhen oder Drogen hinterher. Diese Zustandsbeschreibung stammt, nein, nicht aus der Offenbarung des Johannes. Sondern aus dem zweiten Album "Let Them Eat Chaos" von Kate Tempest, das die preisgekrönte englische Rapperin, Poetry-Slammerin, Roman- und Theaterautorin in der Münchner Muffathalle vorstellt. Es ist ein Album, das tatsächlich ziemlich düster, ja apokalyptisch wirkt, schon weil die Geschichten, die Tempest darin schildert, alle um 4.18 Uhr und damit mitten in der Nacht spielen.
Hoffnung und eine Botschaft gibt es aber auch auf "Let Them Eat Chaos", nämlich: Wacht auf und liebt euch mehr! So heißt es darauf ganz am Schluss und auch am Ende des Konzerts, in dem Tempest in der zu zwei Dritteln gefüllten Halle das Album mit drei Begleitmusikern komplett durchspielt. Viel anders würde das auch nicht funktionieren, denn "Let Them Eat Chaos" ist eine Art episches Langgedicht in Hip-Hop-Form. Dem stellt sie schon zu Beginn ein kleines Plädoyer voraus, und zwar im Fremden auf der Straße den Mitmenschen zu sehen.
Das klingt ebenfalls ein bisschen biblisch. Und wenn Tempest zu Hip-Hop, Wave und Discobeats in fahlem Licht und Nebel ihre dunklen, bildstarken Texte deklamiert, dann hat sie durchaus etwas von einer Prophetin. Einer Prophetin, die im Schlabberpulli und mit hochgezogenen Schultern optisch kaum auffällt. Aber es ist eh ihre ausdrucksstarke und zuweilen pfeilschnelle Stimme, die dem Auftritt sein Format gibt. Als Zugabe gibt es in Gedichtform noch eine weitere aufbauende Botschaft. Wir sind mythische Wesen und zu Großem geboren, flüstert uns Tempest mit ihrer Stimme ein, die manchem als die wichtigste unserer Zeit gilt. Und für einen kurzen Augenblick wollen wir ihr das gerne glauben.