Kurzkritik:Präzise

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Gerhild Romberger und das BR-Orchester

Von Barbara Doll

München - Antigone stirbt, Friedrich Rückerts und Gustav Mahlers Kinder sterben, Sergej Rachmaninow stirbt. Es war ein ausgesprochen jenseitsorientiertes, dabei aber sehr abwechslungsreiches Programm, das das BR-Symphonieorchester unter Mariss Jansons im Herkulessaal bot. Die Antigone-Ouvertüre des tschechischen Komponisten Vladimír Sommer (1921-1977) verwandelt das Orchester in ein pulsierendes Monster. Hoch expressive Dauerglissandi, sehnig und kraftvoll, schrauben sich durch den Streicherapparat und werden von Unheil verkündenden Bläsersignalen und donnerndem Schlagwerk unterbrochen. Und die Übergänge zwischen schneidender Dramatik und großflächiger Streicheremphase fließen.

Ist das pathetische Film-Aufputschmusik oder eine Apotheose der Menschlichkeit als versteckte Kritik am kommunistischen System? Vielleicht beides. Der todesverzagte Schlusshauch der grandiosen Streicher hallt jedenfalls lange nach. Mit seinen Kindertotenliedern hat Mahler nur fünf der über 400 "Kindertotenlieder" von Friedrich Rückert vertont. Bei Rückert war es Trauerarbeit - zwei Kinder starben kurz nacheinander -, bei Mahler war es nach Ansicht seiner Frau Alma eine unheilvolle Vorwegnahme des Todes von Tochter Maria Anna, was freilich hanebüchen war. Gerhild Romberger springt im Herkulessaal für die erkältete Waltraud Meier ein und zieht mit ihrem vollen, dunklen Mezzosopran sofort in ihren Bann. Den transzendierten Schmerz der ersten Lieder drückt sie mit milder und ruhig fließender Stimme aus - kontrolliert, aber voller Wärme.

Jansons organisiert die Kindertotenlieder als feine und dichte Kammermusik, die nach dem kurzen Ausbruch der Qual im letzten Lied besänftigend und doch untröstlich endet. Als apokalyptisches Szenario voll Gottvertrauen enden Rachmaninows Symphonische Tänze, mit denen er 1940 sein Leben und Schaffen Revue passieren ließ. Die Rückschau in eine märchenhafte Walzerwelt lässt Mariss Jansons niederbügeln von einem präzisen, unbezwingbaren Totentanz. Großer Applaus.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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