Kurzkritik:Petitesse mit Potenzial

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Zufit Simons "Gone" im Schwere Reiter fehlt etwas mehr Präzision

Von Sabine Leucht, München

Ein Gebilde aus Menschen. Zwei davon spannen die Schultern an und lassen sie wieder sacken. Langsam vergrößern sie die Bewegung, bis diese das Gebilde durchpulst wie einen mit vielen Lungen atmenden Organismus. Als die Umgebung in Gestalt von 14 Turbolüftern dagegenhält, wächst ein vierter Kopf aus dem mittlerweile zuckenden Ding. Der Knoten löst sich; der Atem als Rhythmusgeber bleibt.

Die gebürtige Israelin Zufit Simon ist als Tänzerin wie Choreografin eine Bewegungsforscherin von schönster Sturheit, die sich nach einem Dreiteiler über die emotionsbefreite Untersuchung menschlicher Gefühle nun offenbar in den Dschungel des Sozialen stürzt. "Gone" - noch bis Samstag im Schwere Reiter zu sehen - gibt sich aus als Performance über das, was Menschen verbindet, wobei alles Psychologische ebenso ausgespart bleibt wie das Gros der konventionellen Gesten für Nähe. Simon, die neben Eva Svaneblom, Maya Weinberg und Carlos Osatinsky selbst auf der Bühne steht, setzt ihre kleine Gruppe schlicht dem Spannungsfeld zwischen inneren und äußeren Luftbewegungen aus. So treiben die vier meist synchronen Atmer auseinander wie die Folienschnipsel, die ihnen aus den Hosentaschen wehen. Man krabbelt gemeinsam über die Bühne, legt Hände auf Schultern und Gesichter. Die elastische Simon macht einmal mehr ihren Rücken rund und überrascht mit einzelnen expressiven Gesten. Schließlich wird das Kollektiv derart von seinem selbst erzeugten inneren Tumult geschüttelt, dass alle Glieder schlackern.

Doch weil man der Genese dieses scheinbaren Kontrollverlusts beigewohnt hat, denkt man dabei weder an die existenziellen Zuckungen einer Meg Stuart noch ernsthaft an eine Katastrophe, nach der man sich hilf- und unterschiedslos an den Nächsten klammert. Dass "Gone" dezidiert nicht-narrativ ist, überrascht nicht. Dass der Performance das Zwingende fehlt, das Simon durch variantenreiche Wiederholung selbst trivialer Gesten und Bewegungen abzugewinnen vermag, schon. Man vermisst die stupende Präzision ihres choreografischen Konzertes "I like to move it" - und der Witz des Mimik-Tanzes "Piece of something" wird nur anzitiert. So bleibt der Abend spröde ohne nennenswertes Gegengewicht. Eine Petitesse, aber eine mit Potenzial.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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