Kurzkritik:Pathos mit Affekt

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Ute Lempers leidenschaftlicher "Last Tango in Berlin"

Von Claus Lochbihler, München

Triumph und Affektiertheit liegen bei Ute Lemper nah beisammen. Auch an diesem Abend im Prinzregententheater unter dem Titel "Last Tango in Berlin", der musikalisch zwischen Piazzolla und Dreigroschenoper, Jazz und Chanson pendelt. Ein Parforce-Ritt durch Lempers Karriere, bei dem sich Songs und Genres zu einem mehrsprachigen, englisch-deutsch-französisch-spanisch-jiddischen Gesangsstrom vereinen. Ein Gesangsstrom, in dem die Höhepunkte überwiegen, sich aber auch weniger Gelungenes einschleicht.

Grandioser Höhepunkt des knapp zweistündigen Konzerts: Lempers virtuos niederschmetternde Version von Léo Ferrés "Avec le temps", bei dem sie "le temps" so unglaublich in die Länge zieht, als ob sie versuchen würde, allein durch ihre Stimme und mit diesem Wort den Lauf der Zeit aufzuhalten. Überhaupt klingt "La Lemper" am großartigsten, wenn sie auf Deutsch oder - genauso flüssig - auf Französisch singt. Zu den Chansons passt auch die Fülle ihres Pathos, ihr Drang, vulkanischen Überschwang oder düsterste Verzweiflung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln - und das sind viele - auszusingen.

Gestelzter in der Diktion und - trotz der New York-Jahre - auch in der Aussprache wird es, wenn sie auf Englisch oder Spanisch singt. Kurt Weills "Speak Low" etwa geht sie betont leise, aber mit so viel aufdringlichem Vibrato an, dass der Song auf einmal wieder ganz laut Musical wird - als habe es die vielen Interpretationen als Jazz-Standard nie gegeben. In solchen Momenten wird deutlich, dass Lemper manchmal der Versuchung erliegt, Songs als Turnstange für ihre virtuose Stimme zu missbrauchen. Das mag passen, wenn sie "Ich bin die fesche Lola" in eine fetzige Jazz- und Scatnummer verwandelt und dazu im geschlitzten, tangoschwarzen Kleid mit der feuerroten Schärpe über die Bühne swingt. Aber bei zarteren Song-Geschöpfen wie "Speak Low" führt diese Behandlung in eine interpretatorische Sackgasse: Wenig Song, viel Lemper.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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