Der Auftritt des Tölzer Knabenchors zur Adventszeit im Herkulessaal hat Tradition. Nachdem im vergangenen Jahr Christian Fliegner dort erstmals Bachs Weihnachtsoratorium dirigiert hat, steht in diesem bei Händels "Messias" Clemens Haudum am Pult. Die beiden leiten den Chor gemeinsam, seit Übervater Gerhard Schmidt-Gaden vor zwei Jahren den Stab übergeben hat. Den Traditionen des Gründers bleibt Haudum dabei treu, wie man dem im englischen Original gesungenen "Messias" entnehmen kann. Auch er entwickelt die Musik vor allem aus einer intensiven Textdeutung, die mit hoher Präzision vermittelt wird. Die einzelnen Stimmen heben sich klar voneinander ab, Koloraturen kommen in gestochener Klarheit daher, die berüchtigte Linie aus aufsteigenden Haltetönen im "Hallelujah" setzen die Soprane absolut klangrein in den Saal.
Dennoch vermittelt der Abend den Eindruck, dass die neue Leitung eigene Akzente setzen könnte. Schmidt-Gadens Methode zielte auf einen besonders durchschlagkräftigen, vollrunden Klang. Den bekommt man bei den Tölzern noch immer, aber Haudum scheint sich stärker um dynamische Differenzierungen zu bemühen, setzt auch auf viele Pianofarben. Das führt zu einer sehr lebendigen Klangdramaturgie, weil es Steigerungsmöglichkeiten lässt.
Mit der Hofkapelle München und ihrem Konzertmeister Rüdiger Lotter hätte Haudum dafür eigentlich auch das richtige Orchester, das seinen schlanken Klang sowieso reich abschattiert. Aber im instrumentalen Bereich fällt ihm an Gestaltungsmöglichkeiten leider momentan noch weniger ein als bei seinem Chor - oder er hätte mehr Probenzeit gebraucht. Die Solisten Lydia Teuscher, Martina Koppelstetter, Julian Prégardien und Frederic Jost bekommen so relativ wenig Unterstützung bei der Anlage ihrer Arien. Besonders Prégardien lässt sich davon nicht beirren und bietet von sich aus eine reiche, ebenfalls aus einer genauen Textdeutung entwickelte Farbpalette.