Kurzkritik:Nackter Wahnsinn

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Freitas "Bacantes" verzücken in der Spielhalle

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

"Bacantes - Prelude to a Purge" ist der Irrwitz auf Latschen. Genau genommen sind es ja Gymnastikschläppchen, in denen die 13 Männer und Frauen über den Tanzboden in der Spielhalle trippeln, schlurfen, bauchtanzen und schlittern. Wer welchen Geschlechts ist, das weiß man bei den Stücken der in Lissabon lebenden Kapverdischen Choreografin Marlene Monteiro Freitas sowieso nie so genau. Ist auch egal. Diesmal, bei ihrem völlig durchgeknallten karnevalesken Bacchanal, wechseln am Ende zwei gegensätzliche Parteien die Plätze, freilich nicht kampflos und nach etlichen lächerlichen Höllenstürzen. Bevor es nach zwei erschöpfend komischen, verzückenden Stunden dazu kommt, wird allen Ernstes noch Ravels "Bolero" in voller zwanzigminütiger Länge gesitztanzt beziehungsweise im Entengang durchmarschiert.

Man hört und schaut chaotischen Stöckchen-Trommlern und militärisch aufgereihten Trompetern bei groteskesten musikalischen Slapsticks zu, wozu unbedingt das völlig irre Verbiegen von Notenständern gehört. Zwischen veritablen Trauermärschen, Gartenschlauch- und Plastiktrichtergetröte treten irgendwann monstergeil und offenbar heftig auf Droge drei Schöne in Goldturban und Kimono in Aktion. Aber dann: Als Zwischenspiel läuft ein Schwarzweißfilm. Aus dem Off erklingt Trauergesang. Im Bild liegt eine Japanerin in den letzten Wehen und bringt vor laufender Kamera im Kreise ihrer tatenlosen Familie ihr Kind zur Welt. Damit sich ja keine Verstörung über Existenzielles breit macht, setzen die lebenden Bühnenakteure zu kläffen und meckern an, formieren sich zu einem Rülpschor und fangen imaginäre Moskitos. Das Chaos hat uns wieder.

Vom Drama der "Bakchen" des Euripides bleibt nicht viel. Freitas interessiert allein der Widerstreit von Chaos und Ordnung. Dabei lässt sie den Gott Dionysos zum gröfazig grimassierenden Hausmeister schrumpfen. Die Ordnung siegt. Und damit ist dann leider Schluss mit lustig. In Echt.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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