Kurzkritik:Mitten in der Prärie

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Der britische Gitarrist Albert Lee im Rattlesnake Saloon

Von DIRK WAGNER, München

Die Schlangenhaut über dem Tresen unterstreicht den Namen des "Rattlesnake Saloons" in Feldmoching ebenso wie die Holzstatue der riesigen Klapperschlange vor der Tür. Autogrammkarten, Plakate und Schallplatten gestalten die Innenwände als Wohnzimmer eines Country-Fans. Bruno Theil heißt der und ist als Betreiber des Ladens sogar gemeinsam auf einem Foto mit der Country-Legende Willie Nelson zu sehen. Andere Fotos zeigen Albert Lee, einen Gitarristen, der sich schon mit anderen Gitarrenhelden wie Eric Clapton, Jimmy Page oder Steve Morse duellieren durfte. Und der mit den ganz großen Rockstars zusammen spielte, mit den Everly Brothers, Jerry Lee Lewis oder der Country-Queen Emmylou Harris.

Nicht weit von den Fotos sitzt an diesem Abend Albert Lee selbst an einem Tisch in der Musikkneipe, trinkt Tee und sortiert laminierte Textblätter, die dem 1943 geborenen Musiker auf der Bühne eine Stütze sein werden. Denn an diesem und den folgenden zwei Abenden im Rattlesnake Saloon ist Lee nicht nur der Gitarrist, der von anderen Gitarristen als legendär gefeiert wird. An diesen Abenden ist der 75-Jährige auch Sänger und Frontmann einer jungen englischen Band. Oder, um es mit dem Bild der Modelleisenbahn zu sagen, die im Rattlesnake Saloon vom Hauptbahnhof an der Bar ausgehend einmal um den gesamten Raum fährt: Er ist der Lokführer eines Zuges, der mal schnell durch die Rock-'n'-Roll-Landschaft rast. Vorbei an den wunderbaren Wüstenkakteen eines Gram Parsons, den Vorstädten eines Buddy Holly oder den prächtigen Prärien eines Rodney Crowell.

Ausgehend von Fats Dominos Bekenntnis "I'm Ready" bis hin zu Johnny Burnettes "Tear It Up" gelingt Lee ein Programm, das die Geschichte des Countryrock ebenso spannend zusammenfasst, wie es sie auch um Werke etwa der Punkband Green Day aufregend erweitert. Wobei Lees Ansagen keinen Zweifel daran lassen, dass er selbst keine Ahnung hat, wer Green Day "überhaupt waren oder sind", wie er sagt. Deren Song "Good Riddance" hat es ihm dennoch angetan. Und so interpretiert er den mit seinem prägnanten Gitarrenspiel, das die Saiten nahezu gleichzeitig mit dem Plektrum anreißt und mit den Fingern zupft, als wäre er ein alter Country-Song.

Genau das kennzeichnet Albert Lee, der seit nunmehr 17 Jahren einmal im Jahr durch den Rattlesnake Saloon in Feldmoching rast. Ohne zu entgleisen, versteht er es, seinen Zug auch jenseits der Schienen fahren zu lassen. Hinein in unbekannte Landschaften, die er rockmusikalisch urbar macht wie einst die Einwanderer den Wilden Westen.

© SZ vom 14.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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