Kurzkritik:Lust und Laster

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Lisa Eckharts neues Solo in der Lach- und Schießgesellschaft

Von Oliver Hochkeppel, München

Natürlich hat sich die Moral unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten stark liberalisiert, schon unter dem Druck der Ökonomie. Das heißt aber nicht, dass es keine Tabus mehr gäbe. Vieles aus den Bereichen "untenrum" und "innenrum" ist zwar nicht mehr mit Entrüstung, Bann oder gar Strafe belegt, wird aber pikiert verschwiegen und gerade im Feld des Humors immer noch höchstens geflüstert. Gerade auf dieses Allzumenschliche hat sich nun die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart spezialisiert. Diese sozusagen skandalöse Themenwahl korrespondiert obendrein mit einer atemberaubenden Erscheinung (gertenschlank und riesengroß, noch betont durch Zwanzigerjahre-Kostüme und -frisuren) und dem - ob gereimt oder Prosa - vielleicht größten Sprachtalent der aktuellen deutschsprachigen Kabarett-Szene.

Wer bei ihrem mit allerlei Preisen dekorierten Debüt vor dreieinhalb Jahren dachte: Hui, knackiger als bei dieser morbiden, tiefschwarzen, von Kannibalismus bis zu Sexualpraktiken extrem expliziten Show könne es nicht mehr werden, der musste sich bei der München-Premiere ihres zweiten Solo-Programms in der Lach- und Schießgesellschaft warm anziehen. Ihr kunstvolles Plädoyer für "Die Vorteile des Lasters" ist der bislang fulminanteste und drastischste Frontalangriff auf die Pseudo-Korrektheit und Mittelmäßigkeit unserer Spaßgesellschaft überhaupt.

Dazu dekliniert Eckhart kapitelweise - dazwischen blutrot angestrahlt und von dramatischer Klassik umspielt - die sieben Todsünden zu einem tiefenpsychologischen, kulturhistorischen und zivilisationskritischen Panoptikum von Lust und Frust durch. Mit der Direktheit der Berlinerin, der Eleganz der Pariserin, der Ironie der Londonerin und der in weiche Dialekt-Watte gepackten Morbidität der Wienerin - ihre bisherigen Wohnsitze. Jeder Halbsatz strotzt dabei derart vor verwegenen Analogien, überraschenden Metaphern und sprachlichen Finessen, dass man vor Bewunderung und Lachen fast platzt. Ein unerreicht diabolisches Vergnügen, wenn man das nötige Quantum unsittlicher Reife mitbringt.

© SZ vom 19.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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