Kurzkritik:Kunst, Küche, Krieg

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Die zwölf Stunden Auferstehung des Schmocks

Von Egbert Tholl, München

2016 hatte Florian Gleibs die Nase voll und schloss nach 16 Jahren sein Restaurant Schmock in der Augustenstraße. Es war berühmt für seine israelische Küche und für seine aggressive Werbung. "Deutsche, esst beim Juden", und auf der Toilette lief ein Jiddisch-Sprachkurs. Das war für einige aus dem dunklen Bodensatz der Gesellschaft zu viel, gerade nach dem Gaza-Krieg 2014 nahmen offene und verdeckte antisemitische Anfeindungen zu. Israelische Politik und jüdische Küche wurden irgendwie gleichgesetzt, auch Gleibs schlug verbal um sich. Was scheiterte, war ein Experiment, Jüdischsein in München mit Stolz und Selbstbewusstsein zu präsentieren, und sei es nur in so etwas vermeintlich Harmlosen wie einem Restaurant.

Nun gab es das Schmock wieder, für zwölf Stunden in der Artothek, erfunden vom Performance-Kollektiv Studio Sherut und der israelischen Künstlerin Reut Shaibe. Man wird bewirtet, man redet, man ist in der Utopie eines Lokals als sozialer Ort; dann spielt Lenja Schultze Tabubingo. Das heißt, Begriffe raten. "Gleichschaltung", "Anschluss", "Sonderbehandlung". Wer gewinnt, kriegt 100 Euro, aber die sind in einem riesigen Eisblock, der auch um drei in der Früh nicht aufgetaut ist. Shaibe erzählt harte jüdische Witze, die meisten über den Holocaust. Im Video berichtet Uwe Dziuballa, Besitzer des Chemnitzer Restaurants Shalom, von seinem Traum, jüdisches Leben mit der Selbstverständlichkeit von vor 1933 wieder in Deutschland zu etablieren. Ihm wurden die Fenster seines Lokals eingeschmissen. In anderen Videos: der Film "Freaks" oder Eichmann vor Gericht.

In einer Stammtisch-Diskussion, geleitet von Leon Pfannenmüller, träumt Daniel Grossmann vom Jewish Chamber Orchestra einen ähnlichen Traum. Er ist dabei, ihn zu verwirklichen. Währenddessen wird das Mobiliar zerlegt, schließlich geschreddert, vom Schmock bleiben nur Späne. Und von diesem schillernden Abend bleibt als einer von vielen Gedanken eine Verzweiflung über untilgbaren, gefährlichen, dummen Hass.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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