Kurzkritik:Klangerlebnis

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Vladimir Jurowski dirigiert das Bayerische Staatsorchester

Von Andreas Pernpeintner, München

Die Intensität von Sergei Prokofjews Symphonie Nr. 3 c-Moll op. 44, mit der das Bayerische Staatsorchester im Nationaltheater das 2. Akademiekonzert beschließt, ist enorm. Mit "Moderato" ist der erste Satz bezeichnet. Doch es bricht ein Inferno los, bei dem das Tempo - es mag rein rechnerisch durchaus gemäßigt sein - zunächst kaum ins Gewicht fällt. Welches Ausdrucksmoment der Komponist hier auch ansteuert, er tut es kompromisslos. Das Ergebnis: ein Klangerlebnis von maximaler Intensität. Das gilt für die mit abgründiger Düsternis durchwirkte Melodik des zweiten Satzes ebenso wie für die unheimlichen, geräuschhaften Glissandoflächen des dritten und die muskulöse Rhythmik des vierten Satzes.

Diese Musik ist unverbrämt herb. Und obendrein ist sie ungemein plastisch - das allerdings ist insofern nicht verwunderlich, als Prokofjew in diesem Werk zentrale musikalische Einfälle aus seiner zu Lebzeiten nicht aufgeführten Oper "Der feurige Engel" ins Symphonische überführte. Dem musiktheatererprobten Staatsorchester mag diese Werkverbindung zur Oper entgegenkommen. Jedenfalls gelingt die Interpretation bestechend, wozu maßgeblich die geradezu beschwörende Gestik des Dirigenten Vladimir Jurowski beiträgt, der die Musiker so mächtig anzutreiben versteht.

Zu Beginn des Akademiekonzerts böte eigentlich bereits Franz Liszts "Der Tanz in der Dorfschenke" (der zweite Teil aus "Zwei Episoden aus Lenaus Faust") die Möglichkeit zu ähnlich ausdrucksstarkem Musizieren. Diese lassen die Musiker jedoch erstaunlich ungenutzt verstreichen. Zwar ist schon hier erkennbar, wie auffallend exakt das Staatsorchester an diesem Abend über weite Strecken spielt, doch an etlichen Stellen entsteht der Eindruck, dass Jurowski doch etwas mehr Ausdrucksintensivierung im Sinn gehabt hätte, als ihm die Musiker dann zugestehen. So bleibt von Liszts teuflischem Tanz (denn Mephisto spielt darin die erste Geige) vor allem akkurate Stringenz übrig - die ist nett, lebendig bewegt, aber nicht durchwegs packend.

Ganz anders vor der Pause die Darbietung von Paul Hindemiths Symphonie "Mathis der Maler": Die festlich monumentale Wirkung dieser Komposition beeindruckt, ebenso ihre friedliche Anmut, ihre elegante Kühle, ihre Kontrapunktik. Am Ende, bei den anstrengenden Linien in hoher Lage, steigt den Trompetern das Blut gewaltig zu Kopfe. Ja, das Staatsorchester musiziert hier sehr dezidiert und mit energischem Einsatz - und folgt darin seinem Dirigenten, der, den Stab zwischendurch sogar mit beiden Händen zum kraftvollen Hieb gepackt, Hindemiths klare Formen prächtig gestaltet. Großer Applaus.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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