Der Tölzer Knabenchor macht gerade einen gravierenden Wandel durch. Nach dem Abgang seines charismatischen Gründers Gerhard Schmidt-Gaden und einer Abspaltung in den "Münchner Knabenchor" zeigte jetzt Christian Fliegner im Herkulessaal, wie er mit dem großen Erbe und Johann Sebastian Bach umgeht. Fliegner ist nicht nur geborener Tölzer, sondern erfuhr seine musikalische Ausbildung bis zum begehrten Solisten und kundigen Stimmbildner mehr als 30 Jahre lang im Chor. Deshalb brachte er ihn mit "Jauchzet, frohlocket" von Bachs Weihnachtsoratorium gleich zu Beginn zum strahlenden Forte-Blühen. Mit eher weicher Dirigierdiktion, aber knappen Phrasierungen entfesselte er den kernigen Tölzer Sound, der so anders ist als der aus der englischen Cathedral-Tradition oder den niederländisch-belgischen Schulen - obwohl alle den historischen Originalklang wollen.
Ganz anders als das der üblichen gemischten Vokalbesetzungen mit weiblichen Solisten oder Countertenören ist auch das Klangbild der Knabensolisten für Sopran und Alt. Sie bezauberten zwar mit ihrem keuschen Imago und imponierten mit sängerischem Können, aber die Ausdrucksdifferenz zu den ausgebildeten Männerstimmen, dem dramatischen Bass von Christian Immler und dem expressiven Tenor von Jussi Myllys war doch deutlich hörbar. Im Duett von Sopran und Bass "Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen" wurde es auch ein Problem der heiklen dynamischen Balance.
Christian Fliegners Zuwendung zum Orchester war, wie bei vielen arrivierten Chordirigenten, die nach Höherem streben, nicht ganz so leidenschaftlich wie zum Chor. Aber Rüdiger Lotter, der engagierte Konzertmeister, hielt die Musiker seines "Barockorchester der Residenz" auf historischen Instrumenten in bester Ordnung. Davon profitierten besonders die "Sinfonia" der zweiten Kantate und der komplexe Chorsatz "Ehre sei Gott in der Höhe" aber auch die wunderbaren Bläserensembles. Langer Applaus.