Kurzkritik:Interkulturell

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"Nerves" und "Bollock Brothers" im Unter Deck

Von Dirk Wagner, München

"Ich arbeite und arbeite. Trotzdem wird das Leben nicht besser", singt die Sängerin der Stuttgarter Punkband Nerves im ausverkauften Unter Deck. Und eigentlich war mit einer solchen Haltung zur Arbeit von einem Punk auch zu rechnen. Allerdings zitiert die Sängerin mit der großen Irokesenfrisur hier ein Gedicht aus einem Land, das für seine arbeitswillige Bevölkerung bekannt ist: aus Japan.

Immer wieder nutzt die Sängerin nämlich Texte der japanischen Dichter Murata Seifu und Ishi Kawa Takuboku, die die studierte Japanologin in Ausschnitten sogar japanisch singt. Doch nicht solche textliche Eigenart sticht aus der üblichen Punkshow samt der als Kampfflieger maskierten Musiker hervor. Vielmehr sind es die asiatischen Instrumente wie jene Shakuhachi genannte Bambusflöte, die dem Sound der 1987 gegründeten Band eine besondere Note geben. Indem diese Instrumente aber gleichberechtigt mit den im Punkrock üblichen E-Gitarren agieren, und nicht, wie in einer sogenannten Weltmusik hervorgehoben werden, gelingt der Punkmusik hier genau die interkulturelle Haltung, die in der Weltmusik nicht selten mit einem nahezu kolonialistischen Blick auf die neu entdeckten fremden Kulturen nur behauptet wird.

Solche Interkulturalität als wesentlicher Bestandteil einer urbanen Gesellschaft ist auch ein Merkmal der britisch-stämmigen Punkband Bollock Brothers, deren irischer Sänger Jock McDonald die Songs betont, als sei er in der Unterschicht Londons aufgewachsen. Doch nicht das rechtfertigt den Begriff "interkulturell" in der Betrachtung der Bollock Brothers. Vielmehr sind es die von Punks oft verpönten Popmelodien etwa eines Rod Stewart, die die Bollock Brothers stimmungsfördernd in ihre Musik einfließen lassen. Und die letztlich auch mal mitgegrölt werden, als würden die Fans im Unter Deck damit eine Fußballmannschaft im Stadion anfeuern. So funktioniert Punkrock, der sich nicht über eine musikalische Abgrenzung definiert.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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