Kurzkritik:Im Reinen mit sich und der Welt

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Neil Diamond blickt zurück und besingt in der Olympiahalle seine glückliche Kindheit in Brooklyn

Von DIRK WAGNER, München

Weder "Shilo" noch "Girl, You'll Be A Woman Soon", beides Hits aus der Frühphase des US-amerikanischen Songwriters, spielt Neil Diamond in der ausverkauften Olympiahalle. Trotzdem reiht seine mehr als zweistündige Show einen Hit an den anderen: von der Single "Cherry Cherry" aus dem Jahr 1966 bis "Brother Love's Travelling Salvation Show", eine ebenfalls frühe Komposition, die bald schon ins feste Repertoire von Dolly Parton und Peggy Lee überging. Überhaupt sind zahlreiche Neil-Diamond-Songs erfolgreich von Künstlerkollegen neu interpretiert worden, etwa von den Monkees, Elvis Presley oder UB 40.

Statt es nun aber dabei zu belassen, die großen Erfolge mit seiner unverkennbaren Stimme zurückzuerobern, verneigt sich der gefeierte Songschreiber in der bestuhlten Olympiahalle vor einer der größten Musikerinnen seiner Zeit, vor Joni Mitchell, deren "Both Sides Now" Diamond schon 1969 gecovert hatte. Dem mittlerweile 76 Jahre alten Sänger nimmt man jetzt auch den sehr frühreifen Text deutlich mehr ab, wenn er singt: "Ich habe das Leben von zwei Seiten gesehen, als Gewinner und als Verlierer. Und doch ist es irgendwie nur die Illusion von Leben, an die ich mich erinnere."

Von einer früheren Rückschau auf sein Lebenswerk stammen - dazu passend - private Super-8-Filmaufnahmen, die etwas später in der 50-Bühnenjahre-Jubiläums-Show den ganz jungen Neil als Kind zeigen, während Diamond auf der Bühne seine Kindheit in Brooklyn besingt. Eine glückliche Kindheit, wie es scheint, auf die der Sänger ebenso zufrieden zurückblickt wie auf seine Musik, der seine zwölfköpfige Band einfühlsam noch weitere Akzente abgewinnt. Etwa, wenn Tom Hensley zu "Solitary Man" eine warme Orgel unter das satte Bläserset hebt. Oder wenn Larry Klimas Saxofon in "You Don't Bring Me Flowers" anstelle der einstigen Duett-Partnerin Barbara Streisand erklingt. Letztlich verstärkt ihre Absenz sogar noch die Poesie des Songs.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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