Kurzkritik:Hyperaktiv auf der Bühne

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Der Youtube-Star Jacob Collier mit Band in der Muffathalle

Von Oliver Hochkeppel, München

Man kriegt den englischen Wortwitz auf Deutsch nicht hin, mit dem Jacob Collier bei seinem Auftritt in der Muffathalle geradezu philosophisch "Djesse" vorstellt, die Titelfigur seinen aktuellen Albums: Das Kind im Manne (wie auch in der Frau), sein imaginiertes Alter Ego, in das er für die Aufnahmen geschlüpft sei. Denn das wertlose kindliche Spielen sei zugleich das Wertvollste in unserem Leben, das auch grundlos sei und zugleich alles bedeute. Der gerade mal 24-jährige Londoner ist denn auch momentan der Musiker, der die kindliche Lust am grenzenlosen Musizieren am eindrucksvollsten verkörpert. Schon alleine deswegen, weil er neben seinen Hauptinstrumenten, dem Klavier und der in Umfang wie Variabilität bemerkenswerten Stimme, ein gutes Dutzend andere ebenfalls aufreizend gut beherrscht.

Als Ein-Mann-Orchester-Wirbelsturm hat Collier in den vergangenen vier Jahren erst auf Youtube, dann dank eines am MIT in Boston entwickelten intelligenten Loop-Programms zur simultanen Bedienung der ganzen Instrumente auch auf der Bühne eine Weltkarriere gemacht. Nun ist er erstmals mit einer eigenen Band unterwegs, in der neben dem Schlagzeuger Christian Euman mit Robin Mullarkey und Maro - einer in Los Angeles lebende Portugiesin, die mit auch erst 23 schon Berklee-Absolventin ist - zwei weitere Multiinstrumentalisten zugange sind. An der Statik seines Auftritts ändert das nichts: Die Band bleibt Beiwerk, Collier ist die Attraktion, springt nach wie vor wie ein Flummi über die Bühne, hetzt vom Klavier ans Schlagwerk oder an den für ihn erfundenen Vokalharmonizer und greift sich Bass oder Gitarre. Ein Wunder, dass der Tontechniker stets fehlerfrei zwischen Colliers Headset und den diversen Gesangsmikrofonen umschaltet.

Auch musikalisch bleiben Stärken und Schwächen unverändert. Collier macht Songs für die ADHS-Generation. Alle 30 Sekunden heißt es "And now for something completely different", wird eine neue Reizschwelle angetriggert. Schon der Einstieg ist Medley und Mitmachnummer zugleich. Dass Coversongs wie Stevie Wonders "You And I" oder das wie auf Speed brachial daherpolternde "Faszinating Rhythm" von George Gershwin am eindrucksvollsten sind, ist kein Zufall: Colliers eigenes Songwriting ist (noch) nicht überzeugend. Wie auch, da die hochgetaktete Abfolge von Zirkusstückchen, der an Hollywood-Blockbuster erinnernde Spektakel-Overkill jede normale Song-Dramaturgie zerreißt. Es ist nach wie vor faszinierend, diese extensive und explosive Ausstellung von musikalischem Talent zu beobachten. Aber schnell auch anstrengend.

© SZ vom 06.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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