Kurzkritik:Hohe Schule

Lesezeit: 1 min

Der Pianist Craig Taborn und sein Quartett in der Unterfahrt

Von Ralf Dombrowski, München

Craig Taborn fragmentiert Musik. Er zerlegt sie in Einzelteile, um dann aus der Vielfalt der Möglichkeiten eigenwillige Schlüsse zu ziehen. Das unterscheidet sich vom motivischen Arbeiten durch die Wahl noch kleinerer Einheiten, eines nur auf ein Fiepen reduzierten Hammond-Sounds etwa. Oder einer nur von Ferne in das Klangensemble einstreuenden Sequenzerfigur, eines an pointierter Stelle gesetzten Kontrastintervalls oder eines nur selten einem geraden Metrum folgenden Rhythmusschnipsels. Aus solchen kleinsten Einheiten setzt der Pianist aus Minnesota seine Kompositionen zusammen, montiert sie behutsam zu größeren Gebilden, die dann wiederum zu ausladenden, energiedurchzogenen Passagen werden.

Es ist eine sehr intellektuelle Arbeitsweise, mit den Möglichkeiten improvisierender Musik umzugehen, die aber funktioniert, weil Taborn über die Reflexion hinaus mit viel struktureller Intuition den Fluss der Klänge am Laufen hält. So kann mal eine minimalistische Collage, mal eine Form von Meta-Funk oder auch eine an zeitgenössischer Expressivität geschulte Klangballung entstehen, die trotz aufwendig geschichteter Komplexität groovt.

Das ist die hohe Schule jazzender Konvergenz, die in der Unterfahrt Einflüsse von weit auseinander liegenden musikalischen Erfahrungsbereichen zusammenbringt. Und sie funktioniert nur, weil Taborn sich Partner gesucht hat, die diese fortgeschrittene Vorgehensweise des Vernetzen der Fragmente nachvollziehen und teilen können. Der Schlagzeuger Dave King beispielsweise hat an den Experimenten besonderen Spaß und schafft es, die Waage der geschickt eingebremsten Fülle zu halten. Chris Speed setzt Tenorsaxofon und Klarinette atmosphärisch, dezent und trotzdem präsent ein, der Bassist Chris Lightcap umfängt die Musik mit transparentem Klang und einer selbst in abstrakten Momenten bodenständigen Fähigkeit, den Flow zu bedienen.

Diese Kombination macht es dem Publikum leicht, der an sich extrem überformten Musik zu folgen. Denn Taborn und sein Quartett erhalten sich die Fähigkeit, im Team zu kommunizieren. Das ist zeitgenössische Musik, die ihre Bodenhaftung nicht verliert.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: