Kurzkritik:Hinreißend

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Der französische Cellist Gautier Capuçon im Hubertussaal

Von Barbara Doll, München

Auf dem Podium: blaue Hortensien, im Schlosspark: Sommerluft. Und doch herrscht Weihnachtsstimmung im Hubertussaal. Der französische Cellist Gautier Capuçon und sein Klavierbegleiter Jérôme Ducros spielen beim Nymphenburger Sommer Beethovens Variationen über ein Thema aus Händels "Judas Maccabäus". Aus eben jenem Thema wurde im Lauf des 19. Jahrhunderts - nachdem es durch die Hände eines evangelischen Theologen und einer romantischen Liedkomponistin gegangen war - das Adventslied "Tochter Zion, freue dich". Händel hatte sein Oratorium "Judas Maccabäus" zur Ermutigung Englands in politisch schwierigen Zeiten geschrieben. Damals war es der Jakobitenaufstand.

Der Schmelz ist da in Capuçons Ton, er spielt sein Klangspektrum von brummender Tiefe bis lichter Höhe aus, doch die Charakterzeichnung der einzelnen Variationen gewinnt erst spät an Schärfe. Die Anfangs-Kantilene in Beethoven Cellosonate op. 5/1 lässt er dann wunderbar ebenmäßig aufblühen - und stürzt sich mit Ducros in einen rasanten Dialog, bissig und witzig, von kammermusikalischem Geist beseelt. Capuçons Ton ist drängend, scharfkantig, klar. In Ducros' selbstbewusstem, robustem Spiel findet er den idealen Gegenpart.

Das ist hochspannendes Musizieren: wie die beiden den dichten Kontrapunkt zum Sprechen bringen, wie sie einander hochschießen, wie sie sich an Flexibilität und Kraft überbieten. Als Zwischenspiel voll lyrischer Reinheit und melancholischer Tiefe nehmen sie die BeethovenVariationen über Mozarts Zauberflöten-Arie "Ein Mädchen oder Weibchen", bevor sie vom frühen zum mittleren Beethoven übergehen - zur großen Cellosonate op. 69. Die weiten Bögen spannen Capuçon und Ducros formvollendet auf, sie stürzen sich in die Stimmungsumschwünge, verbinden Heftigkeit mit Eleganz. Das Scherzo: wild, blitzend, roh. Hinreißend. In der Zugabe, Massenets "Meditation" aus Thaïs, spielt Gautier Capuçon das warme, dunkle Timbre seines Goffriler-Cellos von 1701 noch einmal aus, sehnsuchtsvoll und zart.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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