Kurzkritik:Herzschmerz

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Die norwegerische Sängerin Maria Mena in der Freiheizhalle

Von Dirk Wagner, München

"Die schlimmsten Idioten sind die, die einem helfen wollen", schimpft die norwegische Sängerin Maria Mena in der Freiheizhalle und singt sogleich darüber, dass der Mensch mit dem Helfersyndrom sich um sich selbst kümmern solle. Sie wisse schon, wie sie alleine zurecht komme. Immerhin hat sie gerade eine traumatische Trennung hinter sich, die sie eine Zeit lang verstummen ließ. Es gelang ihr nämlich nicht, ihren Trennungsschmerz in Songs zu fassen. Weil der liebe Gott es den seinen aber im Schlaf gibt, und weil schon psychologisch geschulte Traumdeuter daran glaubten, dass man das Bewusstsein austricksen muss, um Verdrängtes wiederzufinden, fielen Maria Mena die ersten Lieder ihres neuen Albums ein, als sie schlief.

Und so erwachte sie mit einem Lied auf den Lippen nicht nur aus ihrem Schlaf, sondern endlich auch aus ihrer Trennungsdepression. Von dem Typen, dem sie so sehr hinterhergetrauert hatte, blieb nur noch die Erkenntnis, dass er ein Idiot sei. Wenn sie früher fürchtete, nicht mehr ohne diesen leben zu können, fürchte sie jetzt nur noch, dass sie wieder mal einem Idioten begegnen könne, erzählt die 30-Jährige im Konzert. Und die Zuschauer jubeln zustimmend, als wäre ihnen das alles nur zu vertraut. Ob ihre Begleitungen wohl ahnen, dass auch sie gemeint sein könnten?

Sie ahnen es nicht. Stattdessen umarmt man sich und genießt in trauter Zweisamkeit den Wohlklang von Maria Menas Stimme, die in die höchsten Oktaven steigt, während die Sängerin in ihre tiefsten Abgründe taucht. Dabei beschließt sie schon im ersten Song "Good God" genug geweint zu haben, um einen Ozean zu füllen. Ab jetzt wird abgerechnet und ermutigt. Mit dem tröstenden Titelsong des neuen Albums zum Beispiel, "Growing Pains", der den Schmerz als vergänglich verspricht. Bleibt die Frage, ob man einen vergangenen Schmerz wirklich so mitreißend artikulieren kann, wie es Maria Mena gelingt? Vielmehr scheint der Schmerz noch da zu sein. Er klingt nur besser.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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