Kurzkritik:Haut aus Glas

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"Candelilla" mit neuem Album in der Milla

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Ein Schlag, als zersplitterte berstendes Glas. Die Haare stellen sich auf, der Puls schnellt hoch. Aber die Vier auf der Bühne agieren, als berührte sie nichts. Candelilla, die harsche Frauen-Combo aus München, hat soeben in der Milla mit den ersten Akkorden die Release-Show ihres jüngsten Albums "Camping" angeschrillt und fährt äußerlich unbewegt fort, lärmende Klangstöße in Herz und Hirn zu jagen. Punk? Noise Music? Was heißt das schon.

Und die Show? Sie machen doch nicht mehr als ihre Instrumente minutiös zu beharken in todsicherem Timing und Offbeat-geschult. Sandra Hilpold am Schlagzeug und die beiden Sängerinnen Mira Mann und Lina Seybold an Bass und Gitarre sind Meisterinnen ihrer Instrumente. Rita Argauers Hände landen, exakt getaktet, auf den Tasten des Keyboards, ihr linker Riemchen-Pump zielt - ein einbeiniger High-heel-Reel - treffsicher auf die Soundknöpfe. Und ab und an legt sie eine E-Gitarre an die Brust für einen schwirrenden Rückkoppelungsexkurs. Improvisiert wird hier nicht. Was gespielt wird, hat ausgetüftelte Strukturen auf der Basis minimalistischer Patterns und ist wohl bis ins Detail auskomponiert. Candelilla sprechen den elaborierten Code der Intellektuellen in präzisester Metrik. "Der Sommer der jungen Wilden ist vorbei./ Wir bleiben trocken und staubig", behauptet Mira Mann mit jener gleichgültigen Monotonie, mit der sie auch lakonische Wortinseln und Halbsätze artikuliert. Dabei straft sie ihre Mitstreiterinnen und sich selbst Lügen. Denn jung und wild, das sind sie immer noch, auch wenn die Ur-Candelilla schon vor 15 Jahren als Schulband startete.

Aller Gesang liegt als frostige Firnis über emotionalen Untiefen. Was man nicht kennt, macht Angst. Oder wütend. Die Coolness ist fake, denn die Instrumente sprechen von verzweifelter Aggression unter blutleerer Haut. Die Summe aller Fühllosigkeit, hart wie Glas, wird zum Spiegel einer allgemeinen Befindlichkeit. Da muss man reinschlagen, dass die Scherben fliegen. Voilà.

© SZ vom 18.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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