Kurzkritik:Große Gesten

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Teodor Currentzis und "Music Aeterna" im Gasteig

Von Henrik Oerding, München

Natürlich ist das alles Show. Die enge Hose, der Undercut, die roten Schnürsenkel in Springerstiefeln: Teodor Currentzis fällt allein optisch aus dem fracktragenden Dirigenteneinerlei heraus. Die Sache wäre schnell erledigt, wäre Currentzis nicht auch musikalisch einer der interessantesten Dirigenten unserer Zeit. Mit seinem Orchester Music Aeterna, dem Orchester der Oper Perm in Russland, kam er nun in den Gasteig und lieferte eine Show mit musikalischem Tiefgang.

Mahler stand auf dem Programm. Erst Ende September hatte Currentzis zu seinem Antrittskonzert beim SWR-Symphonieorchester eine umjubelte dritte Mahler-Sinfonie aufgeführt, insofern ging es in München nun konsequent mit der Vierten und Liedern aus "Des Knaben Wunderhorn" weiter. Wobei Currentzis die Lieder als langes Vorspiel auf die folgende Sinfonie nutzte: Vorsichtig begann er mit "Der Schildwache Nachtlied". Bariton Florian Boesch sang den Wachmann und seine Geliebte und wechselte zwischen kräftiger Tiefe und quasi-kindlicher Zartheit. Die Mezzosopranistin Paula Murrihy spielte die Charaktere ihrer Lieder mit großer Geste, im "Lob des hohen Verstandes" i-ahte sie eselsgleich. Currentzis baute so bis zum Lied "Revelge" Spannung auf, in welchem er die Musiker wie zu einem Hundertkilometermarsch aufpeitschte.

Diese Effekte sollten das Publikum auf eine ebenso ungewöhnliche Mahler-Sinfonie vorbereiten. Music Aeterna spielte komplett im Stehen, nur die Celli durften sitzen bleiben. Das veränderte tatsächlich den Klang: Die Musiker bezogen stärker ihre Körper ins Spiel mit ein, die bei Mahler häufig erhobenen Schalltrichter der Bläser sorgten für noch mehr Durchschlagskraft. So entstand ein Forte, das bis in die Knochen ging und Currentzis Interpretation zu einem körperlichen Erlebnis machte. Jeanine De Biques Sopransolo im vierten Satz ließ etwas Deutlichkeit vermissen, konnte das aber durch eine strahlend klare Stimme ausgleichen.

Auch wenn es gerade bei leisen Akkorden einige Unsauberkeiten in den Bläsern gab, konnte das nicht den Gesamteindruck mindern: ein echtes Erlebnis, trotz oder wegen der Show.

© SZ vom 04.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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