Kurzkritik:Gleißende Freude

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Enoch zu Guttenberg dirigiert Bachs Weihnachtsoratorium

Von Barbara Doll

"Orgiastische Musik" sei der Eingangschor von Bachs Weihnachtsoratorium, sagt der Abt in der Christmetten-Predigt. Er meint zwar keine bestimmte Interpretation, doch auf Enoch zu Guttenbergs Weihnachtsoratorium in der Philharmonie trifft die Bezeichnung durchaus zu: Der Chor schießt das "Jauchzet, frohlocket" in aberwitzigem Tempo heraus - schnittig, mitreißend, fast trotzig. Es gibt Grund zur Freude, sagt diese Aufführung, und es wage bitteschön keiner, das Gegenteil zu behaupten.

Wie jedes Jahr wuchtet Guttenberg alle sechs Kantaten des Oratoriums in die Philharmonie, am Tag vor Heilig Abend. Diese Zeremonie ist nicht nur vorgezogene Weihnachtsfreude, sondern Menschen- und Lebensfeier, denn Guttenberg interessiert die universale Aussage hinter dem zauberhaften Geburtsgeschehen. Da geht es um Menschenfreundlichkeit und Versöhnung, naturgemäß auch um Widersprüche. Guttenberg weiß, wo er antreiben muss und wo er sich völlig zurücknehmen kann, weil seine Chorgemeinschaft Neubeuern und das Orchester der Klang-Verwaltung Idee und Klang zutiefst verinnerlicht haben: In reiner Liebe und Empathie erstrahlen die Choräle "Wie soll ich dich empfangen" und "Ich steh an deiner Krippen hier" oder die Hirtenmusik am Anfang der zweiten Kantate. Die Höhepunkte in diesem Weihnachtsoratorium sind allesamt leise und zärtlich - doch über allem steht die helle, gleißende Freude, mit knackigen Streichern und vollem Trompetenglanz.

Andreas Post ist ein sehr handfester, präsenter Evangelist, der säuberlich artikuliert. Mit samtiger Tiefe und natürlicher Ausstrahlung überzeugt Bariton Matthias Winckhler, der kurzfristig für Günther Groissböck eingesprungen ist. Während Mezzosopranistin Olivia Vermeulen sich mit ebenmäßiger, inniger Phrasierung in die Geschichte versenkt, wirkt Sibylla Rubens trotz kristallklaren, geschmeidigen Soprans seltsam unbeteiligt. Im Schlusschoral verbinden sich Advents- und Passionsgeschehen in siegesgewissem Jubel - in einer Unio mystica, die keinen Zweifel mehr kennt.

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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