Kurzkritik:Glaubensfragen

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Ruth Geiersbergers "auf Räumen Phase 2" im Hoch X

Von SABINE LEUCHT, München

Simon Spehr stellt Fragen, die oft mit "glaubst du" beginnen: "Glaubst du, ich sollte der Welt mehr Beachtung schenken?" Und er sagt Sätze wie: "Ich ziehe es vor, von Ideen statt von Menschen berührt zu werden." Sein Gegenüber ist 60 Jahre älter als er und heißt Dietrich Kuhlbrodt. Ja, genau der Hamburger Ex-Staatsanwalt aus den Schlingensief-Filmen. Intelligente Improvisations-Könner sind beide, Schauspieler nicht. Und das, was zur Spielzeiteröffnung im HochX zu erleben ist, ist auch kein Theater, sondern "eine Situation", sagt Ruth Geiersberger, die sich "auf Räumen Phase 2" ausgedacht hat.

Zuschauer- und Bühnenraum verbindet ein Steg, das Publikum darf überall sein, das "Situations"-Personal liegt in Klappliegestühlen, spricht mal verständlich und mal bewusst nicht, kümmert sich umeinander oder um charaktervolle Dinge mit Geschichte, für die Geiersberger ein Faible hat. Sie selbst schlägt auf eine Tischklingel, um Frage-Antwort- oder Frage-Frage-Sessions einzuleiten und abzubrechen. Sie liest in einer Ecke des Raumes aus einem Buch vor und tippt Simon oder Kuhlbrodt an, um sie abzulösen. Dafür stehen auch die als "Gästebetreuerin" fungierende Tänzerin Judith Hummel und der Musiker Klaus Janek parat. Simon aber, von Haus aus multiaktiver Student, hält selbst dann keine längere Auszeit aus, wenn er im Kreuzfeuer intimster Fragen gerade noch um Ablösung gefleht hat.

Die Hitze dieses Feuers mag den, der die erste Phase von Geiersbergers "Klang- und Raumverrichtung" versäumt hat, überraschen. Denn ihre Vorgeschichte liegt in jener leer stehenden Haidhauser Wohnung, in der das Team einige Sommertage lang Erfahrungen miteinander und Klangmaterial gesammelt hat, das Klaus Janek nun auf unterschiedliche Sender im Theaterraum verteilt. Als Zeichen gegen die Archivierungswut unseres digitalen Zeitalters wird dieses Material während der Performance konsequent ausgelöscht. Für das Gros der Zuschauer dürfte das nebensächlich sein. Die Begegnung mit der lebenszugewandten Wachheit eines über 80-Jährigen und den schrägen Fragen eines 20-Jährigen lohnt sich jedenfalls allemal (noch bis Samstag im Hoch X, jeweils 20 Uhr).

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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