Kurzkritik:Gewiefter Engländer

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Sänger und Gitarrist Tom Misch in der Muffathalle

Von Claus Lochbihler, München

Ausverkauft ist die Muffathalle und das Publikum so bunt gemischt wie selten: Gitarren-Nerds, die sich darüber unterhalten, wie Tom Misch auf seiner Fender Strat diesen tollen Sound hinbekommt. Tänzer, die es sonst eher in Clubs als in Konzerte zieht. Und junge Mädchen, die später jede Textzeile mitsingen werden und dabei auch jene Töne treffen, die der Angebetete nicht auf Anhieb findet - von "Losing My Way", der ersten Nummer des Abends, bis "Lost In Paris", der Zugabe.

Tom Misch ist kein großer, aber ein offenbar berührender Sänger. Aus seiner bassig-coolen Sprechstimme ragt sein Gesang nur ein paar Töne heraus. Bei manchen Songs, bei denen der Gesang ohnehin auf ein minimalistisches Beinahe-Nichts eingedampft ist, tut dies ohnehin nichts zur Sache. Bei anderen macht er es mit einer gefühligen Offenherzigkeit, einem knödeligen Stimmcharme, und einer lässigen Phrasierung wett: Selten singt jemand mit so dürftiger Stimme so selbstbewusst wie Tom Misch. Gitarristisch bewegt sich der junge Engländer sehr gewieft zwischen der Funkiness von Nile Rodgers, der Bluesiness von John Mayer und kurzen Jazz-Pop-Läufen à la George Benson. Er lässt seine Gitarre mit Wah-Wah-Pedal wie eine Ente über die Bühne quaken und watscheln. Oder verleiht ihr etwas Flächig-Keyboardhaftes - gerade so, als ob plötzlich Stevie Wonder für ein Riff eingestiegen wäre.

Meistens aber tickt Tom Misch wie ein kluger Produzent, nicht nur im Heimstudio im Süden von London und der Soundcloud, der er als Star entstiegen ist, sondern auch live. Die oft kurzen Songs bauen sich auf und in Breaks gleich wieder ab, was auch die fehlende Dynamik des Gesangs ausgleicht: Jeder Song wird irgendwann für ein paar Takte zu Disco oder House, wenn er nicht ohnehin wie "Disco Yes" von Anfang an im Zeichen der großen Discokugel über der Bühne durchstartet. Und bevor irgendetwas auch nur ansatzweise erlahmen oder langweilen könnte, mutiert der Song weiter oder ist schon wieder zu Ende.

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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