Kurzkritik:Fusion für Feingeister

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Dieter Ilgs grandioses Bach-Programm in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel, München

An Bach kommt man als Musiker nicht vorbei, das sagen auch Jazzer von Joachim Kühn bis Joshua Redman. Harmonik, Kontrapunkt, Polyphonie, Improvisation - es ist zu viel, was das Kompositionsgenie, wenn nicht erfunden, so zur Vollendung gebracht hat. Vermutlich ist Bach auch der am meisten "verjazzte" Klassiker, schon weil Jacques Loussier einst mit einem schlichten Strickmuster bewiesen hat, wie vermeintlich leicht man ihn swingen lassen kann.

Wahrscheinlich hat gerade deswegen der Bassist Dieter Ilg, seit Jahren gewissermaßen der amtlich bestellte Kreuzungsgenetiker für Klassik und Jazz, lange gezaudert, sich an Bach zu versuchen und vorher Verdi, Wagner und Beethoven beackert. Besonders hoch ist der Anspruch bei einem, von dem es "kaum Werke gibt, die nicht jeder kennt", wie Ilg sagt, und dessen geradezu mathematische Perfektion auch abschrecken kann. Wie man nun in der Unterfahrt hören konnte, hat der lange Vorlauf Ilgs "B-A-C-H"-Projekt nicht geschadet.

Es ist etwas für Feingeister, für Fans der avancierten musikalischen Kulinarik. Ob sich Ilgs Trio nun einige der Goldberg-Variationen vornahm, Stücke aus dem Büchlein für Wilhelm Friedemann Bach, Sonatensätze oder einen "Hit" wie die Air - weder beim einzelnen Stück noch in der Summe begnügte sich Ilg mit einem einzigen Katalysator für die Jazz-Transformation. Mal begann es ganz nah am Original mit hauchzarten Rhythmisierungen - wo vor allen der vorbildlich dezent werkelnde Schlagzeuger Patrice Heral gefragt war -, dann wurde kernig reharmonisiert; mal legten sich vorsichtig Farben über die Stimmen, dann brachen sich Bop- oder Free-Attacken Bahn. Generell ließ Ilg viel Raum für Improvisation und Solieren. Was nicht zuletzt Rainer Böhm am Flügel mit stupender Technik und Imagination zu einem seiner schon gewohnt sensationellen Auftritte nutzte. So konnte Ilg auch erklären, warum man Bachs so ausgefeilte Schlüsse in eher schlichte "Endings" verwandelte: "Das Publikum war heute eher andächtig. Das beeinflusst uns natürlich." Nicht alltäglich, so ein Abend der tiefen Verbindungen.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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