Kurzkritik:Freudige Trunkenheit

Lesezeit: 1 min

Jamie Lidell und Band begeistern im Technikum

Von Martin Pfnür, München

Die Zurückhaltung gehört ja bekanntlich zu jenen Tugenden, die in Zeiten erhöhter Selbstdarstellungs- und Geltungssucht schwer zu leiden haben. Entsprechend edel wirkt es da, wenn sich ein geborener Entertainer wie der Brite Jamie Lidell gegen Ende seines Konzerts im Technikum einfach mal zurücknimmt und vom Bühnenrand aus zuschaut, wie sich seine Band in einen instrumentalen Rausch spielt, der auch das spärliche, allerdings enorm bewegungsfreudige Publikum zum wiederholten Male in einen Zustand freudiger Trunkenheit versetzt.

"The Royal Pharaos" nennt sich dieses Monstrum von einem Oktett, zu dem man Lidell, den es nach langen Jahren der Wanderschaft mittlerweile nach Nashville verschlagen hat, nur gratulieren kann. Denn so wie es etwa die - für einen Vorwärtsdenker wie Lidell - vielleicht etwas arg retromanisch ausgefallenen Stücke seines neuen Albums "Building a Beginning" mittels Gitarre, Schlagzeug, Bass, Keyboard, Percussion, Saxofon und Trompete sowie einer enorm präsenten Backing-Sängerin in Szene setzt, kommt man auch als kritischer Betrachter gar nicht umhin, in Begeisterung zu verfallen. Ist das, was an diesem Abend passiert, doch nichts weniger als eine Ausleuchtung jeglicher Nuancen zwischen Funk und Soul: Egal, ob nun in Form gemütlicher Off-Beat-Schunkler wie "How Did I Live Before Your Love", funkiger Groove-Walzen à la Prince wie "Walk Right Back" oder zuckersüßem Schmacht-Material auf Fender-Rhodes-Basis wie "Find It Hard To Say", stets ist da diese ergreifende Verbindung zwischen dem flehenden Ausnahmeorgan Lidells und einem Soundgewebe, wie es dichter kaum sein könnte. Und keine Frage, wenn Jamie Lidell und seine Band am Ende einen digital produzierten, scharfkantigen Future-Funk-Song wie "When I Come Back Around" von seinem Debüt "Multiply" ins Analoge übersetzen, dann fasst man das gerne als Aussicht auf ein Wiedersehen auf. Gehört diese Musik doch ganz unbestritten auf die Bühne.

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: