Kurzkritik:Fenster im Dom

Lesezeit: 1 min

Herbert Blomstedt dirigiert Bachs "Johannespassion"

Von Egbert Tholl, München

Er gilt als der älteste aktive Dirigent, er wird am 11. Juli dieses Jahres 90, und er hat eine Aura von Würde und Güte. Man kann sich auch gut vorstellen, dass Herbert Blomstedt viele lustige Geschichten aus seinem langen Musikerleben erzählen könnte, man müsste ihn nur danach fragen. Ebenso kann man sich vorstellen, dass er nur dann in die Bredouille kommt, wenn er einmal gezwungen sein sollte, Musiker die Macht des Dirigenten spüren zu lassen. Aber er strahlt so viel Freundlichkeit aus, dass ein solcher Moment sehr unwahrscheinlich ist. Im Herkulessaal folgen ihm jedenfalls das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dessen Chor und die Solisten in eine heilige Freude an Bachs "Johannespassion".

Schon der erste Chor gleich zu Beginn ist ein Quell reinen Glücks. Es ist ein Strahlen wie ein buntes Kirchenfenster, durch das das Sonnenlicht fällt, wunderbar gestaffelt sind die einzelnen Stimmen, und immer ist der Gesamtklang von einem homogenen, aber schön bewegten Ganzen. Darunter liefert das schlank besetzte Orchester einen feinen Puls, der ein Sehnen vorantreibt, das jeder, der will, religiös empfinden mag, das aber auf jeden Fall von der spirituellen Kraft der Musik kündet.

Auch ein sorgsam eingesetztes theatralisches Element ist zu finden, in der Musik, natürlich, aber schon allein in der Verteilung der Continuo-Spieler, der Instrumentalsolisten, die die Arien begleiten und der Solisten selbst auf dem Podium des Herkulessaals. Überhaupt ist es großartig, wie die nah an oder innerhalb der Continuo-Gruppe agierenden, solistischen Instrumentalpartien größtenteils aus dem Orchester besetzt sind; da spielen zwei Viola d'amore und Hanno Simons ein hinreißendes Cello.

Die Gesangssolisten machen ihre Sache sehr gut, nicht immer umwerfend empathisch, der Tenor Andrew Staples sticht hervor. Der wunderbare Rest ist Mark Padmore, diese Saison "Artist in Residence" beim BR-Symphonieorchester. Padmore ist der Evangelist, und er ist fabelhaft. Ein heller Tenor voller Farben, der jedes Wort denkt, der ein Melisma zum hochdramatischen Ausbruch nutzt, voll von Schmerz sein kann, aber nie voller Pathos.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: