Kurzkritik:Feinarbeiter

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Der Gitarrist Jacob Young in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel, München

Manchmal sieht man zu Beginn eines Konzertes, was man hören wird. So kroch in der Unterfahrt Marcin Wasilewski beim Intro förmlich in den Flügel, und Jacob Young horchte mit schwer vergeistigter Miene den Klängen seiner Gitarre nach. Da konnte kein flockiger Anzug-und-Krawatten-Bebop oder lässiger Cool-Jazz folgen, hier stand ersichtlich introspektive europäische Feinarbeit auf dem Programm.

Erst zum zweiten Mal und nach vielen Jahren präsentierte der Norweger Jacob Young seine Version des "nordic sound", wieder quasi mit einer All-Star-Band mit Musikern des Labels ECM. Denn die drei Polen Marcin Wasilewski (Klavier), Slavomir Kurkiewicz (Bass) und Michael Miskievicz (Schlagzeug), die hier die famose, blind aufeinander eingespielte und nie nur begleitende, sondern immer einfallsreich die Themen erweiternde Rhythmusgruppe bildeten, sind wie Jacob Youngs Landsmann Trygve Seim am Saxofon seit vielen Jahren selbst herausragende Repräsentanten des Münchner Nobel-Labels.

Bei Seim zeigt sich übrigens, dass der äußere Eindruck auch täuschen kann: Der Prackl mit dem mächtigen Bart würde jeden Wikinger-Film zieren, spielt aber ein so weiches, sphärisches Tenorsaxofon wie kaum ein anderer. Was er hier anders als bei seinen eigenen Projekten nur ansatzweise ausspielen durfte. Denn Jacob Young steht mit seinen Kompositionen und Arrangements für den Weg des europäischen Jazz, der die amerikanischen Wurzeln nicht verleugnet - schon weil er über seinen amerikanischen Vater zum Jazz kam und seine Lehrjahre Mitte der Neunziger auch in New York verbrachte.

Umso spannender war es, in der Unterfahrt das überzeugende Ergebnis einer persönlichen wie für den europäischen Jazz prototypischen Emanzipationsgeschichte erleben zu dürfen: Die Kombination amerikanischer Improvisationsprinzipien und Rhythmik mit einer radikal in den Mittelpunkt gerückten, auf Klassik und Volksmusik zurückgreifenden Melodik. Zum Nachhorchen.

© SZ vom 19.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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