Kurzkritik:Fein und wild

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Gergiev und die Philharmoniker mit Mahlers Vierter

Von Egbert Tholl, München

Das Schöne am Baukastenprinzip der Programme der Münchner Philharmoniker ist ja, dass einem das Vertraute in neuer Umgebung begegnet. Von Debussys Vorspiel zum "Nachmittag eines Fauns" etwa können wohl nur noch die Orchestermusiker selbst sagen, wie oft sie es unter Valery Gergiev bereits gespielt haben. Nun leitet es ein Programm mit für die Paarung Philharmoniker/Gergiev tatsächlich neuen Stücken ein, nämlich Schuberts und Mahlers jeweilig vierter Symphonie. Und es ist einfach wunderschön, licht und leicht, als wehe ein Gesang aus weit entfernter, nie erreichter Zeit und Welt heran.

Danach folgt ein Zwischenbericht von der Suche nach Schubert, der nur sehr vorläufig sein kann. Vielleicht liegt es an der Grippe, die Gergiev die vergangenen Tage heimsuchte, vielleicht ist er auch konsterniert ob der Vorstellung, künftig vielleicht in Riem musizieren zu müssen, wenn der Gasteig umgebaut wird. Aber immerhin läge Riem näher an Russland und fühlt sich auch ein bisschen so an. Wie auch immer: Der Schubert wirkt flüchtig und fahrig, im ersten Satz sucht Gergiev Blöcke wie bei Bruckner, im zweiten fehlt jeder betörende Gesang, im dritten geht es bis aufs volksliedmusikhafte Trio schwerfällig zu, und das Ende ist ein schwammig ungefähres.

Danach wird es wieder schön. 1901 fand bei den Philharmonikern, die damals noch Kaim-Orchester hießen, die Geburt von Mahlers Vierter statt. Nun klingt sie unter Gergiev wie eine Demonstration der langen Mahler-Tradition des Orchesters. Alles ist fein und klar, wo es sein muss auch roh und wild, was viel Freude macht. Vielleicht kann man die Kontraste noch härter herausarbeiten, aber es ist schon alles irdisch gut, sehr präsent. Gergiev kann ja ein Zauberer des Zarten sein, hier hat er viel Gelegenheit dafür, und außerdem liegt ihm das solistische durchwirkte, luftdurchdrungene Geflecht Mahlers. Im letzten Satz singt Genia Kühmeier, mit viel Güte im Erzählerischen, mit herrlichem Klang, darf sie im Ariosen den Stillstand der Zeit erzwingen.

© SZ vom 24.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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