Kurzkritik:Electro im Tipi

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"The Chemical Brothers" sind noch immer ein Phänomen

Von Stefan Sommer, München

Sie haben sich in einem Indianerzelt aus Laserstrahlen verbarrikadiert. Da darf außer ihnen keiner rein. Nur von den Lieblingssequencern, Synthesizern, Keyboards und Drumcomputern umgeben, haben sie sich in einem Tipi aus vibrierendem, grünen Licht verschanzt. Wie Kinder, die sich aus Decken, Kissen und Stühlen eine Höhle bauen, haben sich die beiden Herren ein Versteck auf der Bühne des Zeniths zurecht gemacht. So stehen Tom Rowlands und Ed Simons, The Chemical Brothers, in einer Verschnaufpause des Konzerts beseelt und beschützt zwischen ihren Gerätschaften. Lauernd schauen sie aus ihrem sicheren Lager in die Menge, als würden sie gleich mit der Zwille losfeuern.

Nach elf Jahren spielt das britische Electronica-Duo erstmals wieder in München. Nach den Hit-Singles "Galvanize" und "Do it again" galten die Grammy-Preisträger aus Manchester 2007 als eines der wichtigsten Popphänomene der Welt. Das hat sich nicht verändert. Über das letzte Jahrzehnt arbeiten sie mit dem ehemaligen Oasis-Frontmann Noel Gallagher, The Verve-Sänger Richard Ashcroft und dem amerikanischen Querkopf Beck. Rowlands und Simons verstanden The Chemical Brothers damals wie heute als audiovisuelles Projekt. Ihre genialen Musikvideos und die spektakulären Live-Visuals unterschieden sie immer von Big-Beat-Mitstreitern wie The Prodigy oder Fatboy Slim.

Auf einer gigantischen Leinwand fahren sie auch in München groß auf: Perfekt zu den Tracks getaktete Kurzfilme und Animationen geben dem neuen, technoideren Material Kontext und Atmosphäre. Ein Ausschnitt aus der Bilderflut: Die Kamera fliegt in Ego-Perspektive durch einen kaiserlichen Palast, ein mit weißer Kreide bemalter Afro-Amerikaner brüllt in ein orangenes Telefon, zwei Nackte mit Eimern über dem Kopf tanzen Walzer. Am Ende stehen kolossale Roboter auf der Bühne. Aus ihren Augen schießen Laserblitze, aus ihren Ohren qualmt Nebel. Daneben werkeln die beiden Herren in ihrem Lager und grinsen.

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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