Kurzkritik:Ehrgeiz erwacht

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Der englische Nachwuchspianist Julian Trevelyan im Gasteig

Von Michael Stallknecht, München

In Arthur Rimbauds Gedicht "Roman", liest Julian Trevelyan in bestem Deutsch von seinem Tablet ab, gehe es um "einen frühen Moment der Adoleszenz, in der es wohl ein leidenschaftliches Auf und Ab der Gefühle gab". So klingt denn auch die kurze, vom Gedicht inspirierte Eigenkomposition, die der noch nicht lange der eigenen Adoleszenz entkommene Pianist im Kleinen Konzertsaal des Gasteig vom selben Tablet spielt: hocherregt, technisch anspruchsvoll, aber formal nicht sonderlich pointiert.

Dass es dem 20-jährigen Engländer, der bereits zahllose Wettbewerbe gewonnen hat, nicht an Emotionalität mangelt, war schon davor bei Franz Schuberts Vier Impromptus op. 90 zu hören. Existenziell, mit großer Expansion bis ins Fortissimo hinein geht er die Stücke an, die er mit Schwung und Verve in spannungsvollen Bögen zu fassen bekommt. Er hat unverkennbar Sinn für Schuberts Melos, das er in intensivem Legato herausspielt, aber auch für die Harmonik, die er mit genauer Differenzierung in der Klanggewichtung erfahrbar macht. Sinnvoll variiert er Wiederholungen, unterspielt mit tupfender Leichtigkeit die bekannten Figurationen im abschließenden As-Dur-Impromptu.

So ungewöhnlich es für die Reihe "Winners & Masters" ist, dass sich ein junger Musiker hier mit einer Eigenkomposition präsentiert, so ungewöhnlich ist auch das Werk, das er für die zweite Hälfte aufs Programm gesetzt hat: die Diabelli-Variationen. Doch Beethovens letztes großes, einstündiges Klavierwerk sprengt nicht nur klanglich und formal den Rahmen, es ist auch für Trevelyan noch zu groß. Wie kaum anders zu erwarten, nimmt er jede Variation auch hier als unmittelbaren Ausdruck, wo der späte Beethoven höchst mittelbare "Musik über Musik" schreibt, gerade der unabdingbare Humor aus der Beziehung der Variationen zueinander entstehen müsste. Fazit: ein großes, interessantes, aber definitiv überehrgeiziges Klaviertalent, dessen Entwicklung man abwarten muss.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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