Kurzkritik:Die alte Wut

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Casper gibt einen Vorgeschmack auf sein neues Album

Von Stefan Sommer, München

Zu den ersten donnernden Bass-Fanfaren von "Lang lebe der Tod", der ersten Single des gleichnamigen Albums des Rappers Casper, das am 23. September hätte erscheinen sollen, brach ein Gewitter aus Stroboskop-Blitzen über die Bühne der Muffathalle nieder. Aus dem Off flüsterten Scharen von Jungfrauen ein Klagelied im Chor - und siehe da, die Himmelspforte öffnete sich. Hinter einem weißen Vorhang mit Stacheldraht-Motiv - das Cover des neuen Albums - war die Schatten-Silhouette Caspers in Jesus-Pose mit ausgebreiteten Armen und geneigtem Kopf zu sehen. Die sakrale Eröffnung des ausverkauften Konzerts wirkte wie ein begehbares Deckengemälde einer römischen Basilika. Wie das wohl bei monotheistisch-veranlagten Rap-Gottheiten wie Gzuz oder Kanye "Yeezy" West ankäme?

Nach dem zweiten neuen Track "Velroll" hätte man nun noch vor einigen Wochen erwartet, dass auf der "Lang lebe der Tod"-Tour weitere neue Songs aus dem Album folgen werden. Da der Rapper jedoch kurz vor Beginn der Tour auf eigenen Wunsch das Werk nach hinten und vielleicht sogar ins nächste Jahr verschoben hat, gab es Erklärungsbedarf. In einer Pause bat er seine Fans schüchtern um Geduld: "Ich würde schon sehr gerne das allerbeste Produkt abgeben, was es sein kann und in dem Falle braucht es noch ein bisschen Zeit."

In den folgenden 90 Minuten spielte ein sehr gut aufgelegter Casper mit seiner Band ein Best-Of-Medley aus den ersten vier Alben. Chart-Hits wie "Hinterland", "So Perfekt" und "Michael X" fanden in der Setlist eben so Platz, wie die alte Rap-Nummer "Mittelfinger hoch!". Auf der Bühne hat sich der Performer Casper in den letzten Jahren zu einem charismatischen Popstar entwickelt, und die Teenager-Eskapismus-Hymnen seiner vorherigen Alben haben nichts von ihrer schmerzlichen Wut und Sehnsüchtigkeit verloren.

© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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