Kurzkritik:Demokratisch wie nie

Die Lach- und Schießgesellschaft geht neue Wege

Von Oliver Hochkeppel, München

Politisches Ensemble-Kabarett der alten Schule ist in einer die Politik minütlich kritisch begleitenden Mediengesellschaft wahrscheinlich zurecht tot. Für eine Renaissance muss es also neue Wege gehen. Dass das Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft genau das beabsichtigt, macht schon die Besetzung mit den Theaterkabarett-Anarchisten Frank Smilgies und Sebastian Rüger, mit der Schauspielerin Caroline Ebner und dem Musiker Norbert Bürger klar. Von ihrer radikalen Neudefinition des Kabaretts mit "Wer sind wieder wir" war das Publikum gleich bei der Premiere überwältigt und begeistert.

Wohltuend alleine schon, dass keine allfällige Merkel-Parodie mit Dreieck, ja überhaupt kein Politiker-Namedropping vorkamen. Wohl aber die folgenreichen inneren Zwänge des politischen Systems mitsamt den fatalen Simplifizierungen, vorgeführt etwa an einer hinreißenden Zitate-Collage. Dieser Geist des produktiven Dekonstruktivismus durchzog das ganze Programm, von der Punkrock-Hotjazz-Musiknummer über die grandiose Szene einer tumben rheinischen Urlauberfamilie mit philosophierendem Baby ("Brabbelste wieder") oder dem Erstickungstod eines Nestle-Managers in der eigenen Sauerstoff-Verkaufsmaschine bis zu einer Makler-Begehung der Lach- und Schieß, aus der ein "Investment-orientierter" hochpreisiger "Dieter-Hildebrandt-Tower" werden soll.

Alles ist so meilenweit von Fastfood-Kabarett und Comedy-Bespaßung entfernt, dass sich das Ensemble sein Publikum natürlich erst noch erspielen muss. Für Neugierige aber ist er Pflicht, dieser fulminante Wirbelsturm aus Sprachspiel, grandioser Musikalität, darstellerischer Brillanz und dramaturgischer Wucht. Schon weil er so gleichberechtigt entfacht wird: Alle vier sind Protagonisten, Musiker, Autoren und Regisseure; wahrscheinlich hat es noch nie ein demokratischeres Lach- und Schieß-Ensemble gegeben. Was schon ein Wert an sich, aber auch ein aktueller Kommentar zur Lage des Kabaretts wie der Gesellschaft ist.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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