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Londoner "Art Brut" spielen in der Kranhalle und leben in Berlin

Von Jürgen Moises, München

Man sollte Gemälde nicht nur sehen, sondern auch anfassen und schmecken können. So wie Eddie Argos. Der hat, nachdem er erst einmal einen Geschenk-artikelladen mit einer Galerie verwechselt hat, in Amsterdam ein Bild von Vincent van Gogh angefasst und danach mit der Zunge abgeschleckt. Und er kann nun aus eigener Erfahrung sagen: Van-Gogh-Gemälde schmecken köstlich. Nur dummerweise sind sie auch mit Strom gesichert, weswegen er das Ganze dann doch nicht weiterempfehlen kann. Ob das alles so stimmt? Egal. Es gibt auf jeden Fall eine gute Geschichte ab, die der Sänger von Art Brut als Bestandteil eines langen Monologs seinem am Boden sitzenden Publikum in der vollen Kranhalle erzählt hat.

Dort stellten Argos und seine vier Mitmusiker nach einer mehrjährigen Pause das neue Album "Wham! Bang! Pow! Let's Rock Out!" vor. Das erinnert nicht nur vom Titel her an das 2005 erschienene Debüt "Bang Bang Rock and Roll". Sondern es zeigt darüber hinaus deutlich an, dass sich musikalisch ebenfalls nicht allzu viel bei der in London gegründeten Band geändert hat. Denn auch im Jahr 2019 huldigen Art Brut dem Rock'n'Roll, das heißt einer nöligen, leicht aufgekratzten Version des Brit-rock. Nur dass man diesen korrekterweise inzwischen Berlin-Rock nennen muss. Eddie Argos lebt, wie er auch im Konzert erzählt, nämlich seit acht Jahren in der deutschen Hauptstadt. Und abgesehen vom Gitarristen Toby Macfarlaine, der auch bald hierher ziehen will, leben auch die anderen Bandmitglieder in Deutschland.

Diese geografische Veränderung macht sich in Songtiteln wie "Kultfigur" und Zeilen wie "Punk ist nicht tot" bemerkbar. Oder der Tatsache, dass Argos von seinem Krankenhausaufenthalt in Berlin erzählt, der durch eine Bauchfellentzündung verursacht wurde. Und den er im Song "Hospital" verarbeitet hat. Alte Hits wie "Formed a Band", "My Little Brother" und "Modern Art" stehen beim Konzert natürlich ebenfalls auf dem Programm und werden vom Publikum ausgelassen gefeiert. Genauso wie die Clownereien von Eddie Argos, der im dunklen Anzug leicht betütelt hin und her hampelt und zwischen den Songs immer wieder kleine Geschichten einbaut. So erzählt er etwa von Telefongesprächen mit seiner Mutter, dass sein "Little Brother" inzwischen 37 und ein Lehrer ist oder dass man losziehen sollte, um die Scheiben des Klamottenladens einzuschmeißen, der das Atomic Café ersetzt hat. Dass es den legendären Club nicht mehr gibt, will er nämlich nicht glauben. Aber dafür sind Art Brut zum Glück ja wieder da.

© SZ vom 17.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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